Merode-Trilogie 3 - Löwentod: Historischer Krimi aus der Herrschaft Merode (German Edition)
finden“, erklärte sie mit einer Widerspenstigkeit, die sie selbst erstaunte.
„Hein?“ Der Mann lachte dumpf. „Wer zum Teufel ist das? Deine Puppe?“
„Du ... kennst meine Puppe?“
„Ach, Mädchen, wir beide waren uns schon einmal sehr nahe.“
„Hein wird mich finden“, beharrte Maria.
Der Mann warf einen abgenagten Knochen über seine Schulter. „Sicher. Deine Puppe ist bestimmt schon unterwegs, um mir den Garaus zu machen ...“
Der Tag des Erntefestes sollte Mathäus wie ein einziger Albtraum in ewiger Erinnerung bleiben. Wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht vom Verschwinden der kleinen Maria herumgesprochen. Sogleich hatte sich ein Trupp entrüsteter Bauern und Burgbediensteter gebildet – an ihrer Spitze der beflissene Dietrich –, um sich auf die Suche nach der Verschollenen zu machen. Mathäus aber hatte sie zurückgehalten, ahnte er doch, was es mit dem Verschwinden der Kleinen auf sich hatte. Schon bald erlangte er Gewissheit. Einige der Kinder auf dem Hahndorn wollten einen fremden, ihrer Schilderung nach noch recht jungen Mann gesehen haben, der Maria bei der Hand genommen hatte und mit ihr in Richtung Buschfeld verschwunden war.
Ein totes Huhn, das der Dorfherr vor der Tür seines Hauses fand, zerstreute letzte Zweifel: Maria war entführt worden! Der Entführer hatte eine deutliche Warnung hinterlassen, nicht nach ihnen zu suchen, da es der Kleinen sonst wie jenem Huhn ergehen würde. Wer immer auch hinter diesem Verbrechen stecken mochte – offenbar war Maria noch am Leben. Noch bestand also die Hoffnung, dass es ihr nicht so ergangen war wie dem armen Heiner. Nichtsdestotrotz war Mathäus einmal mehr zur Tatenlosigkeit verdammt. Ein Gefühl, das einen Sturm der Verzweiflung in seiner Seele entfachte.
Am Abend saß er mit Jutta und deren Eltern um den Tisch in seiner Stube, in der die Schwermut beinahe greifbar in der Luft hing. Eine Talgkerze flackerte unruhig, als würde sie überwältigt von den trüben Gedanken der Anwesenden.
„Warum habe ich dich bloß mit zu diesem Tuchhändler gezerrt?“, schluchzte Heilwig.
Jutta griff nach der Hand der Mutter. „Was quälst du dich? Es ist nicht deine Schuld.“
„Du hast recht, Liebste.“ Mathäus vergrub seinen Kopf. „In Wirklichkeit ist es allein meine Schuld. Nur weil ich die erste Warnung missachtete und weiter nach dem Kindsmörder fahndete, konnte dies geschehen. Nur weil ich stur und halsstarrig war ...“
„Blödsinn, mein Junge“, unterbrach ihn Johann unwirsch. „Du hast getan, was du tun musstest. Wo kämen wir denn hin, wenn wir jeden Verbrecher laufen ließen?“
„Aber jetzt ... Alles ist nur noch schlimmer geworden.“ Wie ein Eindringling schoss ihm der törichte Gedanke durch den Kopf, dem Wunsch des Grafen zu folgen und nach Nideggen zurückzukehren, um ihn im nächsten Augenblick auf immer und ewig zu verwerfen. Denn als Jutta hinter ihn trat und tröstend ihre Hände auf seine Schultern legte, wusste er: Sein Schicksal war mit den Menschen, die sich hier mit ihm in diesem Raum befanden, untrennbar verknüpft. Obgleich seine und Juttas Zukunft immer noch in den Sternen stand, ergriff ihn mit einem Mal die felsenfeste Überzeugung, dass es richtig war, in Merode zu bleiben, was immer auch geschehen mochte. Eine Begründung dafür gab es nicht. Es war eine Eingebung. Und Mathäus hoffte im Stillen, dass sie von Gott kam.
„Lass uns nach Hause gehen, Heilwig“, sagte Johann leise, als ahne er etwas von der Tragweite der Gedanken des Dorfherrn.
Mit der Versicherung, für Marias Rückkehr zu beten, verließen Juttas Eltern das Haus und überließen die beiden sich selbst.
Jutta ist umgeben von dichtem Nebel. Es ist kühl und unheimlich, kaum drei Schritte weit kann man sehen. In der Ferne läutet hell eine Glocke. Fröstelnd zieht sie den Umhang fester um ihre Schultern und schreitet voran, vorsichtig, denn große, kalte Steine säumen ihren Weg. Zu ihrer Rechten schält sich ein dunkler Baum aus dem Nebel; schwarze Vögel hocken in seinen Ästen und krächzen. Knorrige Wurzeln, Finger böser Geister, wachsen aus dem Boden. Jutta fürchtet sich.
„Mathäus, Liebster! Maria, mein kleiner Engel! Wo seid Ihr bloß?“, ruft sie ins Undurchdringliche hinein.
Sie horcht, doch niemand antwortet ihr. Nur die Glocke läutet und Vögel krächzen. Dem Klang der Glocke will sie folgen. Denn die Glocke ruft sie, sie weiß es. Ahnungen erfüllen sie. Der Baum und die Krähen verschwinden in einem wirbelnden Dunst.
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