Merode-Trilogie 3 - Löwentod: Historischer Krimi aus der Herrschaft Merode (German Edition)
Dietrich stöhnte auf. Zwar hatte der Dorfherr die Scheibe diesmal nicht verfehlt, doch zweifelsohne steckte Paulus’ Pfeil um mindestens zwei Daumenlängen näher am Ziel. Auch die zweite Runde ging an den Burgvogt. Friedrich vermeldete laut den Stand des Wettschießens und kündigte eine kleine Pause an; offenbar war ihm daran gelegen, die anstehende Entscheidung noch ein wenig hinauszuzögern. Ein Gaukler trat vor die Zuschauer und unterhielt sie mit derben Zoten.
„Herr, Ihr müsst lockerer werden“, sagte Dietrich eindringlich. Er hatte einen Schemel besorgt und massierte die verkrampften Schultern des vor ihm sitzenden Dorfherrn. „Ihr wart ein wenig zu überhastet, sonst hättet Ihr Paulus beim letzten Schuss übertreffen können ...“
„Ein Glückstreffer wär’s gewesen. Und hätte die Niederlage nur verzögert.“
„Jeder kleine Sieg ist ein Hieb gegen die Überheblichkeit des Burgvogtes. Und Ihr könnt siegen, wenn Ihr nur wollt.“
Mathäus verzog schmunzelnd sein Gesicht. „Wirklich? Ich muss mich wundern über die Weisheit, die plötzlich aus dir spricht. Ist sie das Resultat deiner neuen Liebe?“
„Vielleicht. Die Liebe gibt mir Kraft, Herr. Auch Ihr solltet Euch ihre Kraft zunutze machen. Warum denkt Ihr nicht an Eure Jutta, wenn Ihr gleich zur Tat schreitet?“
„Keine schlechte Idee“, lachte Mathäus amüsiert.
Dietrich ließ seinen Blick über die Zuschauer schweifen. „Wo ist sie eigentlich, Eure Liebste?“
„Am Hahndorn. Ich habe sie gebeten, dieses unwürdige Schauspiel nicht mit anzusehen.“
„Ach, warum nur, Herr? Ihr hättet sie mitbringen sollen.“
„He, Dorfherr!“ Auch Paulus hockte auf einem Schemel und starrte zu ihnen herüber. Inzwischen schien er mit seinem Weinpokal verwachsen zu sein. „Auf Eure große Klappe!“ Seine Stimme wirkte nahezu erschöpft.
„Das verstehe ich nicht“, raunte Mathäus dem Diener zu. „Warum besäuft sich der Kerl? Um aller Welt zu zeigen, dass er mich selbst im weinseligen Zustand besiegt?“
„Wenn Ihr mich fragt, Herr, so glaube ich, dass der Burgvogt nicht betrunken ist. Er ist einfach nur – müde!“
„Müde?“ Mathäus besann sich einen Augenblick und fuhr dann wie der Blitz herum. „Didi! Warum ist der Burgvogt wohl müde?“
„Psst! Sprecht leiser, Herr.“
Mathäus schluckte verwirrt und suchte nach Worten. „Ist er vielleicht ... Hast du etwa ...“
„So entspannt Euch doch, Herr!“
„Der Wein!“ Mathäus sprach es aus wie eine Eingebung. „Du hast ihm etwas in den Wein gegeben, nicht wahr?“
Die Fanfare erklärte die Pause für beendet, und der Gaukler trat unter dem Applaus des Publikums ab. Der Kastellan ergriff wieder das Wort. Mathäus hörte ihn nicht. „Didi“, flüsterte er eindringlich. „Hast du es getan?“
„Was getan, Herr?“
„Dem Burgvogt ein Schlafmittel in den Wein gerührt?“
„Nein, Herr!“ Der Diener versuchte, dem prüfenden Blick des Dorfherrn standzuhalten.
„Ehrenwort?“
„Ehrenwort! Ihr seid an der Reihe.“ Er griff nach dem Bogen und reichte ihn samt Pfeil dem Dorfherrn. Wieder ertönten Rufe der Aufmunterung. Immer noch etwas konsterniert wirkend trat Mathäus hinter die Markierungslinie.
„Um Himmels willen, so sammelt Euch, Herr“, sagte Dietrich flehentlich. „Oder denkt an Eure Liebste! Glaubt mir, das kann Wunder wirken!“
Mathäus unterdrückte einen Stoßseufzer und beschloss, sich den Rat seines verliebten Knappen zu Herzen zu nehmen. Was konnte es schon schaden? Als sein Pfeil die Scheibe traf und unmittelbar neben dem roten Kreis stecken blieb, waren seine Gedanken tatsächlich bei Jutta.
Fasziniert lauschten die Kinder den Darbietungen des Puppenspielers. Zum wiederholten Male bezog der betrügerische Müller nun Prügel durch den Helden des Schauspiels, einem wackeren Edelmann, der sich der Gerechtigkeit in diesem irdischen Jammertal verschrieben hatte. Der Müller flehte um Gnade. Der Edelmann gewährte sie und nahm ihm freilich das Versprechen ab, die betrogenen Bauern reichlich zu entschädigen. Der Müller gelobte es, wobei der hinterlistige Tonfall seiner Stimme seine Beteuerung Lügen strafte. Kein Zweifel, das Schauspiel war noch längst nicht am Ende, weitere Schandtaten des Müllers waren zu erwarten.
Abseits der gebannten Kinderschar stand mit verschränkten Armen Jutta. Ihr entrückter Blick haftete auf der kleinen Maria.
„Träumst du, mein Kind?“ Heilwig war hinter Jutta getreten und legte die Hände auf die Schultern der
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