MERS
Woche frei, und ich kann unmöglich bis zur nächsten Woche denken, also diskutiere ich nicht, aber der Hormo-Film ist lächerlich und nebensächlich, und ich möchte nichts mehr damit zu tun haben.
Maggi sagt, Dr. Volkov hoffe, von mir wegen der Nummer etwas zu hören. Ich sage zu Maggi, sie solle Natya ausrichten, es sei alles in Ordnung und sie solle sich keine Sorgen machen, und ich würde später zurückrufen, was ich nicht tun werde. Mein Bruder ist der Karate-Killer, und ich kann es kaum erwarten, Maggi aus der Leitung zu bekommen, weil mir etwas eingefallen ist, wie ich beweisen kann, daß er nicht der Karate-Killer ist. Also wimmle ich sie ab und benutze Marks Bildschirm, um das Zeitungsarchiv aufzurufen.
Wenn mein Bruder nicht der Karate-Killer ist, irre ich mich vielleicht, und die Daten und Umstände der Verbrechen werden beweisen, daß er die Morde nicht begangen haben kann. Sie beweisen, daß ich recht habe und daß er sie begangen haben kann. Der erste Mord fand in seiner Garnisonsstadt am Abend des schrecklichen Tages statt, da wir Papa beerdigt hatten, und der nächste Mord hier in der Hauptstadt, drei Jahre später im August, und das war, da bin ich mir völlig gewiß, derselbe Tag, als mir Dr. Vrieland mitgeteilt hatte, ich sei schwanger. Verrat? Ist es das? Zunächst verrät ihn Papa, weil er stirbt, dann verrate ich ihn, weil ich erwachsen werde? Und ich soll ihn erneut verraten? Christus!
Aber drei weitere Morde fanden an Tagen statt, mit denen ich nichts anfangen kann, also vereinfache ich vielleicht zu stark. Also überlege ich statt dessen, was vergangene Woche geschehen ist, das ihn zum Mord an Janni Wintermann hätte veranlassen können. Nur wenige Tage danach habe ich mit ihm vom Ministerium aus telefoniert. Er sah so gewöhnlich aus. Vielleicht liegt hierin das Geheimnis. Er ist gewöhnlich.
Ein Bild. Yvettes Gesicht, bleich und ängstlich, den Tränen nahe. Dumme Kuh. Ich habe Klavier gespielt, Prokofieff, Finger, Finger, Finger, und sie hätte es inzwischen eigentlich besser wissen müssen und nicht mit ihrem Staubsauger hereinkommen sollen. Heutzutage weiß ich, daß Julius seine Zeit mit dem Versuch verschwendet hatte, aus mir eine Musikerin zu machen. Ich spiele Klavier wegen der Finger, wegen der Geschicklichkeit der Finger. Problemlösen. Das Jaulen von Yvettes Staubsauger macht mich rasend. Sie schaltet den Staubsauger ab, nimmt ihn mit, stellt ihn in den Schrank zurück. Wieder läutet das Telefon. Seit Stunden habe ich keines mehr kaputtgeschmissen. Es ist Mark, der anruft, um mitzuteilen, daß er sicher dort angekommen sei, wo er mit Anna hatte hingehen wollen. Er erwähnt Nomansland nicht, als ob das etwas bedeutete. Wie es mir ginge? Habe ich wegen Danno schon die Polizei angerufen? Ich erwidere, mir ginge es gut, und ich sei unaussprechlich froh darüber, daß Anna in Sicherheit sei, und nein, ich habe die verdammte Polizei noch nicht wegen Danno angerufen. Mark sagt, er verstehe, wie schwer das sei, aber ich müsse es tun. Er habe mit Mama gesprochen, und ich brauche mir keine Sorgen zu machen, daß sie die Sache mit Danno herausfände, weil er glaube, ihr Schwachsinn würde sie schützen. Sie benutze ihn die ganze Zeit über als Puffer, sagt er. Er schien zum Plaudern geneigt. Ich sage ihm, er solle aus der Leitung verschwinden und nach Hause zurückkehren. Und zwar dalli! Ich sage, ich sei froh, daß er Anna sicher nach Nomansland gebracht habe. Ich spreche das Wort aus, Nomansland, weil noch nicht einmal Sergeant Milhaus mit ihrer SPU-Karte dort hineinkäme. Ich lege auf.
Es ist ein Uhr, und Yvette hat für mich das Mittagessen gekocht. Ich sehe den Grund hierfür nicht ein – sie sieht doch, in welchem Schlamassel ich stecke –, aber sie würde wieder weinen, wenn ich es nicht äße, die dumme Kuh, also esse ich es. Mamas Schwachsinn würde sie nicht beschützen. Sie ist bloß Nord-Nordwest, und hier ist Süd-Südost. Und sie ist bereits wegen eines verdammten Knies, worauf sie gesessen hatte, auf einem Schuld-Trip. Ich muß mit Danno sprechen. »Mama hat nach dir gefragt, Danno, und jetzt werde ich dich bei der Polizei anzeigen, weil du der Karate-Killer bist.« Ich muß es tun. Mark sagt es. Ich sage es.
Yvette hat das Telefon wieder an die Küchenwand geschraubt. Sie ist eine fähige kleine Person, und es funktioniert wieder. Ich stecke meine Karte hinein und spreche mit Oswald Marton.
»Anna ist in Sicherheit«, sage ich zu ihm. »Ich benötige Ihre
Weitere Kostenlose Bücher