MERS
zu rasch einlenken. Sie werden den Verdacht haben, daß du ein falsches Spiel mit ihnen treibst.«
»Ich mache es ihnen ziemlich einfach, Mark. Keine Spielchen. Es ist einfach. Sie haben Annie.«
»Was wirst du also bis zu ihrem Anruf tun?«
»Meine Forschungsergebnisse sichten. Das hatte ich die ganze Woche über vorgehabt.«
Das Telefon klingelte. Mein Puls flatterte nicht. Es war zu früh für sie. Auch wenn sie wüßten, daß meine Leitung abgehört würde, und sie wußten alles über mich, würden sie nicht das Telefon benutzen. Sie würden über Marks Computerlink Kontakt aufnehmen.
Der Anruf kam von Maggi. Sie erinnerte mich daran, daß ich versprochen hatte, mit Natya zu reden. Das war gestern gewesen. Heute hatte ich Natya nichts zu sagen. Heute war mir Natya scheißegal. Ich schwindelte. Ich sagte Maggi, sie solle Natya ausrichten, daß ich eigentlich Urlaub hatte, und sie solle ihr weiter ausrichten, daß sie die erste wäre, die es erführe, wenn es etwas gäbe, worüber sie sich Sorgen machen müßte.
Ich ging nach oben. Auf der Polizeistation hatte es eine Dusche und eine Einwegzahnbürste gegeben, aber ich hatte in meiner Unterwäsche geschlafen, und meine übrige Kleidung war zwei Tage alt, die lange Nacht dazwischen eingeschlossen. Ich duschte erneut und wusch mir das Haar. Ich mußte mir das Gefühl verschaffen, die Oberhand zu haben. Ich kleidete mich in Rot und zog Schuhe mit höheren Absätzen an.
Ich kehrte nach unten zurück, und um die Dinge nicht unnötig kompliziert zu machen, setzte ich mich an meine Forschungsarbeit. Das Zeug, das Annie für mich am Samstag hatte ausdrucken lassen, war bereits da, und ich benutzte Marks Equipment, um Zugriff auf meinen Computer am Institut zu nehmen und den Rest herüberzuholen. Ich arbeitete den ganzen Morgen über… Es tat mir gut – während der letzten sieben Tage war ich in Verschwörungen verstrickt gewesen, und mir waren meine unglaublichen Leistungen völlig aus dem Blick geraten. Mein Team hatte Unglaubliches geleistet. Ich baute es jetzt zusammen, Jahr um Jahr, Schritt für Schritt. Wir befanden uns im letzten Teststadium. Eine Impfstoff-Therapie, ein Impfstoff, den wir erst auf Primatengewebe und dann auf menschlichem Gewebe gezüchtet hatten, ein stabiler Impfstoff, ein Impfstoff, wirksam gegen das künstlich hergestellte Paravirus, das vor vierzig Jahren als Ergebnis einer rücksichtslosen Kriegshandlung aus dem Biberianischen Forschungszentrum nahe Kanno freigesetzt worden war, ein Paravirus, das wir verantwortlich hielten für die weltweite Ausbreitung des MERS, jenes Syndroms, das uns alle in das verzweifelte vierzigste Jahr des Bevölkerungsrückgangs geführt hatte.
Es war ein Wunder. Ich nenne es heute so, wie ich es damals genannt habe. Jetzt ist es ein Gemeinplatz, damals war’s ein Wunder. Die Woche, die ich nicht daran gearbeitet hatte, hatte die Erregung noch gesteigert. Ich vergaß Annie.
Ich arbeitete den ganzen Morgen über und bis in den Nachmittag hinein. Mark schlich auf Zehenspitzen um mich herum. Er liebte Annie ebenfalls, ihm fehlte eine Beschäftigung, und er machte sich Sorgen. Kein Wort von den Entführern. Ihr Motiv war ihm nicht einsichtig. Er konnte sich nicht vorstellen, was sie haben wollten.
Ich hatte mich aus ihren hinterhältigen Überlegungen lieber herausgehalten, aber während ich die Abschnitte meiner Forschungsarbeit zusammenbaute, unserer Forschungsarbeit, sah ich allmählich klar, ohne es zu wollen.
Vor einigen Jahren hatte ich eine Zeitsekretärin gehabt. Maggi hatte sie auf die Computerfiles losgelassen. Mit einer Anweisung, die so falsch gewesen war, daß sie alle für unmöglich gehalten hatten, hatte sie mich einer Unmenge meiner Forschungsergebnisse beraubt. Unserer Forschungsergebnisse. Sie fehlten mir jetzt für die Zusammenstellung meiner Forschungsarbeit, unserer Forschungsarbeit, und das gälte – wenn sie meine Ergebnisse jemals nachvollziehen, ganz zu schweigen davon, einen eigenen Impfstoff herstellen wollten – auch für sie.
(Meine Forschung, unsere Forschung – ich spiele kein Spiel. Meine Heilbehandlung, unsere Heilbehandlung; meine Therapie, unsere Therapie. Damals korrigierte ich mich nicht so oft, und wenn, dann war’s zumeist ein Lippenbekenntnis. Ich meinte meine Forschungsarbeit, ganz und gar meine. Meine zum Veröffentlichen, meine zum Weggeben für Annie. Aber ich korrigiere mich hier um der Genauigkeit willen und um mit meinem neuen, selbstlosen Ich
Weitere Kostenlose Bücher