Messertänzerin
flüsterte sie mit missglücktem Lächeln. »Ich wünschte nur, wir hätten mehr Zeit gehabt.«
»Wir haben noch Zeit!«
Tajans Zuversicht war gespielt, das wusste sie. Aber seine Finger drückten ihre, und auch wenn ihre Schulter schmerzte, hätte sie um keinen Preis der Welt auf die Berührung verzichtet.
Als Warkan die Stufen vom Podest hinunterstieg, machten die Menschen ihm schweigend Platz. Divya bemerkte ihre Furcht, aber erst jetzt wurde es ihr bewusst: Niemand hatte applaudiert, die Gefangenen beschimpft oder Warkan zugejubelt, wie es früher bei solchen Gelegenheiten üblich gewesen war. Gab es doch ein erstes Zeichen, dass sie selbst und die anderen vier in den Käfigen nicht ganz umsonst ihr Leben für die Wahrheit eingetauscht hatten?
Plötzlich schallte über die Dächer hinweg, in die Stille des Marktplatzes hinein ein rhythmisches Klappern. Stiefel stampften auf Stein. Dann wieder das beschwörende Klappern.
Divya versuchte ihren Kopf zu wenden, soweit es in dem engen Käfig möglich war.
»Da!«, stieß Tajan hervor und deutete mit dem Finger aus dem Käfig heraus auf ein Dach.
Dort stand, in provokanter Haltung, eine junge Frau in einer schwarzen Vesséla. Eine Kapuze und die Spitze einer schwarzen Maske verdeckten ihr Gesicht, an den Fingern ihrer nach oben ausgestreckten Arme glitzerten metallene Halas. Mit einem Mal begann ihre Hüfte sich im Takt zu wiegen, sie klatschte zweimal in die Hände, machte eine abrupte Drehung auf der Spitze eines Fußes, sodass die Vesséla in mehreren Schichten hochflog und die schmale Figurder Frau entblößte. Zweimal Händeklatschen, Drehung in die andere Richtung, dann wiegten sich die Hüften wieder.
In die unnatürliche Stille des Marktplatzes rief die Stimme eines Mädchens: »Die Messertänzerin!«
Plötzlich applaudierte eine Gruppe von Handwerkern, und mehrere Stimmen wagten es, die Tänzerin anzufeuern.
Divya konnte einfach nicht aufhören, das Wesen dort oben auf dem Dach anzustarren. Dort oben stand sie selbst! Die Bewegungen glichen ihren eigenen … nun, nicht ganz. Sie waren etwas vorsichtiger, dafür aber vermutlich eleganter.
»Jo«, stieß Roc hervor, und erst jetzt wurde Divya bewusst, dass er links von ihr im Käfig saß.
»Jolissa?«, fragte sie ungläubig.
Er antwortete nicht. Als im nächsten Moment die Kapuze der Frau wegflog und ihr langes blondes Haar entblößte, keuchte Roc auf.
»Ist sie wahnsinnig? Sie ist in Gefahr!«
Auf einmal schlug er wie wild um sich. Er versuchte das Holz mit Armen und Beinen zu zertrümmern und schaukelte gefährlich wild in der Höhe hin und her, sodass sein Käfig Gefahr lief abzustürzen. Divya, die vermutete, dass er dabei ein paar Knochenbrüche davontragen würde, zischte ihm zu: »Nicht!«
»Sie werden sie töten!«, rief er verzweifelt, ohne aufzuhören.
Auch Tajan hatte die hilflosen Versuche Rocs mitbekommen, und er versuchte wiederum, die beiden Sujim anzusprechen, die als Wachen direkt unter ihnen postiert waren.
»Wir haben uns geirrt«, raunte er ihnen zu. »Ein Sujimdarf sich einen Herrn auswählen und soll ihm von da an für immer dienen. Aber was ist mit einem Herrn, der ohne Gewissen Menschen tötet? Darf er uns ungestraft als sein Werkzeug benutzen?«
Die beiden Wachen reagierten nicht.
Inzwischen war die Tänzerin zu einem fulminanten Ende gekommen, mit wirbelnden blonden Locken, wehender Vesséla und unter der Aufmerksamkeit der gesamten Menge.
Atemlos verharrte sie in einer Stellung, die mutig, selbstbewusst und angriffslustig wirkte. Dann riss sie sich die Maske vom Gesicht und blickte über den Marktplatz auf einen bestimmten Punkt. Als Divya die Augen zusammenkniff, entdeckte sie Warkan auf einer Lichtung von Menschen, die furchtsam Abstand hielten. Erschrocken starrte er nach oben, bevor er seine Wachen in Richtung Dach winkte.
»Da ist euer Fürst!« Jolissa machte eine elegante, aber übertriebene Verbeugung in seine Richtung. »Und ich bin seine Frau.«
Sie sprach die Menschen direkt unter sich an. »Normalerweise ist Blau meine Farbe. Aber gestern hat mein Mann mich an einen Stuhl gefesselt, und er hat mir angekündigt, mich zu foltern, wenn ich nicht alles sage, was er wissen wollte.«
Lautes Raunen ging durch die Reihen. Der Abstand zu Warkan wurde größer.
»Seitdem trage ich Schwarz. Weil mein Mann mich verstoßen hat. Weil eine Frau in dieser Stadt nichts mehr wert ist, wenn ihr Mann sie nicht mehr will. Eine seltsame alte Tradition, die Warkan wieder
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