Messertänzerin
noch einmal ihr Seil. Diesmal hielt der Haken – ohne dass Divya eines der Lichter in seiner Nähe gesehen hätte – und sie wagte den Sprung hinüber. Im gleichen Moment hörte sie vom Dach hinter sich den Schrei eines Windvogels. Ihr Unterbewusstsein sagte ihr, dass diese Vögel niemals nachts unterwegs waren, aber sie musste sich viel zu sehr auf das Klettern konzentrieren, um sich umsehen zu können.
Mit einem Satz landete sie auf dem Lehmboden, ein Stück entfernt von den ersten Hütten, neben einem großen Stapel Holz. Die Lichter waren ihr gefolgt und umschwirrten sie wie Fliegen einen alten Apfel. Sie konnte so lautlos sein, wie sie wollte – wenn die Tassari Lichter sehen konnten, war ihr Auftritt so unauffällig wie ein Gewitter.
Und tatsächlich! Schnelle Schritte näherten sich, und eine kleine, dunkle Gestalt sprang zu einem Holzklotz und zog etwas heraus, das sie hoch ins Mondlicht hielt: eine Axt! Divya starrte verzweifelt auf das schimmernde Metallstück, das sich wundersamerweise nicht weiterbewegte, dann auf den Mann dahinter. Der alte, bucklige Tassari sah aus, als wäre er an die hundert, sein Gesicht war mit Narben übersät und die Augen darin funkelten wütend. Kein Zweifel, dieser Mann war in der Lage zuzuschlagen! Doch plötzlich runzelte er die Stirn und senkte die Axt.
»Farya?«, fragte er so leise, dass Divya nicht sicher war, ob sie ihn richtig verstanden hatte. Hatten die Tassari eine eigene Sprache? Sie ärgerte sich, dass sie das nie jemanden gefragt hatte.
Sie legte die linke Hand auf die Brust und deutete eine leichte Verbeugung an, als Zeichen ihrer Harmlosigkeit. Aber der Mann sah sie an, als hätte er eine Erscheinung gesehen. Er stieß einen schrillen Warnschrei aus, der Divya durch Mark und Bein ging, und blieb in sicherer Entfernung mit vorgehaltener Axt stehen. Flüsternd, wie eine Beschwörung, wiederholte er das Wort »Farya«. Ob es Geist bedeutete?
Der Gesang und die Musik endeten abrupt. Menschen mit Fackeln näherten sich, ihre Schatten huschten vergrößert über die Wände der Holzhütten. Divya geriet in Panik.Hastig machte sie ein paar Schritte zur Seite und griff nach ihrem Seil. Sie warf es im gleichen Moment, als die ersten Tassari eintrafen, aber der Haken glitt ab. Wie sollte es auch anders sein?, dachte Divya. Die Lichter standen aufseiten dessen, der sie rief.
Da entdeckte sie ein gutes Stück weiter den Brunnen. Sie rannte darauf zu, sprang auf die Umrandung und wollte von dort aus einen gewagten Satz zu der hohen Mauer riskieren. Aber noch bevor sie Gelegenheit dazu hatte, stürzte sich einer der Männer auf sie und riss sie vom Brunnen herunter. Das Ganze geschah so schnell, dass Divya sich nicht wehrte. Bisher war Kampf für sie Kunst gewesen, aber zum ersten Mal begriff sie: Kampf war auch ein brutaler Angriff gegen das Leben.
Der Mann, ein Koloss in Lederkleidung, mit kräftigen nackten Oberarmen, drückte sie zu Boden, und sie wusste, was Tajan sagen würde: »Gegen einen übermächtigen Gegner benutze nur die Waffen, die er nicht hat: Schnelligkeit, Wendigkeit, Geschicklichkeit.« Nun, dafür war es zu spät. Der Mann kniete auf ihr und spuckte voller Wut dicht neben ihrem Gesicht auf den Boden.
»Giftmischerin! Jetzt schickt Warkan schon Weiber, um unseren Brunnen zu verseuchen, weil er es nicht wagt, uns offen zu töten.«
Plötzlich flog ein Schatten von oben aus der Nacht auf sie herab und kickte dem knienden Mann ins Gesicht. Die Fackel fiel ihm aus der Hand, während der Schatten gleich nachsetzte und dem Koloss mit einem stumpfen Gegenstand in den Nacken schlug. Kraftlos sank er zu Boden und blieb dort liegen.
Divya sprang erschrocken auf und sah, dass drei Männerauf den schattenhaften Angreifer losgingen. Sie hatte keine Zeit, über ihn nachzudenken, denn zwei junge Tassari näherten sich ihr mit Messern in den Händen und Zorn in den Augen. Ganz instinktiv ging sie in Kampfstellung, griff nach einem Holzstück und hielt es vor sich. Während die Männer das Holz fixierten, wirbelte sie herum und trat dem ersten mit dem Stiefel das Messer aus der Hand. Als sie die Drehung vollendete, traf das Holz genau den Arm des zweiten, und unter Schmerzgeheul ließ auch er sein Messer fallen.
Inzwischen war ein regelrechter Tumult ausgebrochen, und Divya erschrak, als sie sah, wie hart ihr schattenhafter Verteidiger und seine Angreifer kämpften. Einer ging durch einen Schlag mit dem Ellenbogen zu Boden, ein Mann hielt sich bereits mit
Weitere Kostenlose Bücher