Messertänzerin
fragte er Divya mit funkelnden Augen.
»Verzeiht. Ich wollte Euch nicht anstarren«, erwiderte sie verunsichert.
»Das meinte ich nicht!«, bellte er.
»Oh«, konnte Divya nur sagen, dann stand sie auf. »Tut mir leid, es war sicher ein Fehler, herzukommen. Aber ich hatte gehofft, Maita hier zu begegnen.«
Leasar erwiderte Divyas Blick schweigend.
»Kann ich jetzt nach Hause gehen?«
»Genau das würde ich nicht tun«, beharrte er. »Geh, wohin du willst – aber nicht zu Maita. Du hast kein Zuhause mehr.«
Seine Worte waren wie ein Schlag. Als Divya aufstand, trat Leasar noch einen Schritt vor, und da er sehr groß war, empfand Divya seine Geste als Bedrohung.
»Du hattest einen Auftrag und hast ihn nicht ausgeführt. Damit hast du unseren besten Spion in Warkans Palast auffliegen lassen, viele meiner Männer in Gefahr gebracht, unser bestes Pferd an die Wachen verschenkt und den Fürsten auf uns aufmerksam gemacht.«
Divya hatte zwar Angst, aber sie hatte nicht vor, sie sich ansehen zu lassen. Sie nahm vor Leasar die Haltung einer Tana an. »Das war kein Auftrag. Ihr habt mir keine Wahl gelassen. Wer seid ihr überhaupt, dass ihr glaubt, über mich entscheiden zu können?«
Leasar runzelte verwundert die Stirn. »Hat dir das niemand gesagt? Dass du für Rebellen arbeitest?«
»Ich wusste gar nichts«, stieß Divya hervor.
Sie drängte ihn trotz seiner kräftigen Statur zur Seite und er ließ sie überrascht vorbei.
»Wohin gehst du?«, fragte Roc, der ihr bis zur Treppe gefolgt war.
»Wollt Ihr mich aufhalten?«, fragte Divya angriffslustig.
»Nein. Aber dieses Haus ist nicht sicher – falls du dir da oben einen Schlafplatz suchen willst. Du solltest mit uns kommen.«
»Lieber würde ich am Grund des Flusses schlafen.«
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Roc ihr folgte, und auch als sie das Dach betrat, war er noch dicht hinter ihr.
»Lebt wohl, Betrüger!«, zischte sie ihm ins Gesicht.
Sie nahm Anlauf, sprintete zur Dachkante und streckte die Beine aus, während sie über die nächste Gasse flog. Auf der anderen Seite wandte sie sich um und genoss sein verblüfftes Gesicht. Dann lief sie weiter. Immer weiter, ohne Ziel.
Schaum
Divya war bis zur Morgendämmerung über die Dächer gesprungen, als könnte sie auf diese Weise vor den Bildern der Nacht fliehen. Dabei hatte sie die suchenden Wachen im Norden hinter sich gelassen und war immer weiter nach Süden vorgedrungen, bis sie ganz unbewusst vor der Schule gelandet war. Da auf dem Dach kein Tajan zu sehen war, hatte sie es gewagt, ihren alten Weg über die Agida zu nehmen, war in das Schlafzimmer der Diener geschlüpft und hatte ihre Ausrüstungsgegenstände geholt, die ihr in der nächsten Zeit höchst nützlich sein konnten, bis sie wusste, wohin sie gehen sollte. Danach hatte sie zaghaft an Maitas Tür geklopft und sich eine Erklärung dafür zurechtgelegt, warum sie nicht in der Lage gewesen war, ihren Auftrag auszuführen. Aber mit Maitas Reaktion hatte sie überhaupt nicht gerechnet: Sie hatte Divya mit schmalen Lippen angestarrt und war dann an ihr vorbeigestürmt, hatte die Alarmglocke geläutet und laut nach den Wachen gerufen. Innerhalb von ein paar Herzschlägen war Divya über die Dächer geflohen, schlimmer verletzt als durch die Worte der Rebellen. Es war ein Gefühl, als wäre ihre alte Welt endgültig zusammengestürzt wie ein morsches Dach. Die Wachen hatten sie zwar nicht einmal mehr gesehen, aber Maitas abfälliger Blick verfolgte sie quer durch die Stadt, in jeden Winkel und auf jedes Dach. »Wenn du nicht töten kannst, bist du für mich nichts mehr wert«, hatten diese kalten, hasserfüllten Augen gesagt.
Während sie sich oberhalb von Pandrea – außerhalb des Lebens – bewegte, fragte sie sich, wer sie jetzt war. Sie hatte immer davon geträumt, »jemand« zu sein. Mehr als eine Dienerin. Ein Mensch mit einer Bestimmung, einer Meinung, einer Familie. Jemand, den andere achteten. Und jetzt fühlte sie eine innere Leere, die es gar nicht geben durfte. Sie war für niemanden etwas wert! Mochte das bedeuten, dass Tajan recht gehabt hatte? Dass sie immer nur andere imitiert hatte? Rudja, Jolissa, Maita und sogar Tajan? Hatte sie etwa versucht, ein Bild von sich zu schaffen, das es gar nicht gab? Und in all dieser fast perfekten Imitation sich selbst verloren?
Als Divya in sicherer Entfernung zur Schule eine Wäscheleine entdeckte, auf der noch vom Tag ein paar Decken hingen, nahm sie sich eine davon und sprang weiter
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