Messertänzerin
wirst niemals einer werden, weder ein guter noch ein schlechter.«
»Und wenn ich ein Mann wäre?«, hakte sie nach.
»Auch dann würdest du vermutlich niemals ein Sujim. Weil du an allem zweifelst, was du lernen sollst. Weil du nicht einmal weißt, was einen Sujim ausmacht, abgesehen vom Messerwerfen und Kämpfen. Und weil du dir von allem nur nimmst, was du brauchen kannst.«
»Ich benutze meinen Kopf«, sagte Divya beleidigt. »Was ist so schlimm daran?«
Noch immer mit dem Rücken zu ihr setzte er zu einer Erwiderung an, schluckte sie aber hinunter. Stattdessensagte er ganz leise, als gäbe er den Gedanken hinter seiner Wut endlich Worte: »Es ist nicht schlimm. Es ist nur schade, dass du mir nicht vertrauen kannst.«
Sie trat ganz nahe an ihn heran und legte ihre Hand auf seine Schulter, um ihm zu zeigen, dass er sich irrte. Wem hatte sie je so vertraut wie ihm?
»Wir verbringen sehr viel Zeit miteinander. Da wäre es einfach schön, einmal etwas Freundliches von dir zu hören«, gestand sie.
Eine ganze Weile lauschte sie auf seinen Atem, dem sie anhören konnte, dass Tajan versuchte, wieder zu seiner üblichen Ruhe und Beherrschung zurückzufinden.
Leise sagte er: »Du bist erstaunlich. In allem, was du tust. Manchmal denke ich allerdings, dass es gefährlich ist, jemandem wie dir die Künste der Sujim beizubringen.«
»Jemandem wie mir?«, wiederholte Divya irritiert.
Plötzlich wandte er sich um und sein Gesicht war so nah vor ihrem wie noch nie. Sie wusste nicht, warum, aber sie war sicher, dass er sie gleich küssen würde. Und das hatte nichts mit den Gesten zu tun, die Maita in ihrem Unterricht beschrieb. Dies würde ein ganz anderer Kuss werden. Divya sah Tajan in die Augen, und sein Blick fühlte sich seltsam vertraut an, ebenso wie seine Hand, die ihre ganz sanft umschloss.
»Du bist wie eine Ameise«, sagte er mit einem Lächeln.
Divya zog ihre Hand zurück und ging auf Abstand.
»Lass uns weitermachen, du wolltest mir die Schritte beim Stockkampf noch genauer zeigen«, sagte sie betont sachlich und stolz darauf, dass ihre Enttäuschung nicht durchklang.
Das hielt er also von ihr! Sie war eine Ameise – einArbeitstier! Eine Dienerin, die mit ihrer täglichen Arbeit nicht ausgelastet war und sich zusätzliche Schufterei auf dem nächtlichen Dach antun musste, um glücklich zu sein.
Sichtlich irritiert, beinahe beleidigt wandte Tajan sich ab und holte die Stöcke, die sie für die nächste Übung brauchten. Nun, mochte er doch denken, was er wollte! Vielleicht war es gut, wenn die Grenzen zwischen ihnen so klar gezogen waren.
Bis zum nächsten Winter hatte Divya herausgefunden, wie sie Tajan bewusst wütend machen konnte. Ihre Diskussionen, ihr Hinterfragen, ihre Gegenargumente zu den Weisheiten der Sujim ließen ihn jedes Mal die Beherrschung verlieren. Und jedes Mal wurde er umso wütender, weil er seine eigene Schwäche bemerkte. Der ideale Sujim war immer ruhig und beherrscht, aber in Divyas Nähe gelang ihm das nicht immer.
Insgeheim musste sie zugeben, dass sie die Streitgespräche mit ihm mochte. Noch nie hatte jemand so ausgiebig mit ihr diskutiert, ihre Meinung so ernst genommen und so verzweifelt versucht, sie von der Philosophie seiner Vorbilder zu überzeugen. Dabei fand sie einige der Sujim-Weisheiten sehr treffend, sie konnte sogar verstehen, dass man auf diesen wohlklingenden Worten sein Leben aufbaute. Und dennoch versuchte sie oft Tajan davon zu überzeugen, die Worte zu prüfen und das Gegenteil dessen in Erwägung zu ziehen, was sie bedeuteten. Allein deshalb, weil er sich den Gesetzen seiner Kaste so bedingungslos fügte, dass er doch auf die Meinung einer Dienerin gar nicht reagieren durfte. Seltsamerweise verursachte dieser Gedanke ein prickelndes Gefühl auf ihrer Haut.In den kommenden Jahren lernte Divya vor allem, dass das Anschleichen ihre größte Stärke war und dass sie selbst ihren Lehrmeister darin übertraf. Es gelang ihr sogar, Tajan noch drei Mal mit seiner geheimnisvollen nächtlichen Besucherin zu beobachten, nun allerdings nicht mehr auf dem Dach – er hatte wohl dazugelernt –, sondern hinter einem Busch im schmalen Vorgarten der Schule. Leider konnte sie immer noch nicht erkennen, ob es wirklich Evjon war, und hören konnte sie ebenso wenig, aber die Nähe der beiden gab ihr einen Stich, den sie sich selbst nicht erklären konnte. Divya wusste ja, dass ihr nur die heimlichen Lehrstunden gehörten, sein Schicksal und ihres hatten rein gar
Weitere Kostenlose Bücher