Messertänzerin
nichts miteinander zu tun.
In dem Sommer, in dem sie siebzehn wurde, wagte sie ein letztes Mal, Tajan zu einer Aussage über ihre Leistungen zu provozieren. In dieser gewittrigen und dunklen Nacht hatte sie mit jedem Wurf die Markierungen auf dem Brett getroffen, sogar nach einer übermütigen Pirouette auf der Fußspitze.
»Hast du das gesehen?«, fragte Divya begeistert. »Ich habe mich viermal um die eigene Achse gedreht, in der Drehung das Ziel im Auge behalten und den Schwung für den Wurf genutzt.«
»Und vorher ein paar Tanzschritte gemacht, als wolltest du als Tana deine Hausgäste amüsieren«, fügte Tajan trocken hinzu.
Divyas Lächeln gefror, als sie die Kritik in seiner Stimme hörte.
»War irgendetwas schlecht an diesem Wurf?«
»Wenn du jagen willst, lass deine Flöte zu Hause, sagendie Sujim«, erwiderte Tajan stirnrunzelnd. »Das soll bedeuten …«
»Ich weiß, was das bedeuten soll!«, unterbrach Divya ihn verärgert. »Ich bin nicht halb so dumm, wie du glaubst, und du musst mir nicht erklären, dass mein Tanz dir nicht gefällt.«
Erstaunlicherweise suchte Tajan nach Worten. »Dein Tanz würde jedem Mann gefallen, der nicht blind ist. Und ich habe nie gesagt, dass ich dich für dumm halte.«
Divya hob geschmeichelt den Kopf und begegnete kokett dem Blick von Tajans dunklen Augen. Konnte es sein? Hatte er wirklich bemerkt, dass sie erwachsen geworden war? Dass sie sich ganz besonders im Tanz immer mehr wie eine Frau und nicht mehr wie ein Kind fühlte?
»Aber wenn ich dich zur Gauklerin ausbilden wollte, wären wir schon seit zwei Jahren fertig«, fuhr er fort – und zerstörte damit ihre übermütige Stimmung.
»Dass mein Messer sein Ziel getroffen hat, ist also unwichtig?«, stellte Divya enttäuscht fest.
»Du hast mich nach deiner Wurftechnik gefragt«, gab er ernst zurück. »Nicht nach dem Ergebnis. Wärst du ein Mann, wärst du der begabteste Messerwerfer, den ich je gesehen habe.«
»Dann bin ich die beste Messerwerfer in ! «, lachte Divya auf.
Tajan schüttelte den Kopf. »So etwas gibt es nicht.«
Er kam langsam auf sie zu. Seinen Blick konnte Divya nicht deuten, und sie wusste nicht, ob sie sich bedroht fühlen sollte.
»Hast du dir je überlegt, wohin du willst? Was du mit deinen neuen Fähigkeiten machen kannst, wenn du sieniemals zeigen darfst? Wirst du dein Leben als Dienerin noch wollen?«
Dies war einer der Momente, die in letzter Zeit immer häufiger wurden. In denen ihr die Nähe zu Tajan beinahe unerträglich war, weil sie spürte, dass er sie völlig falsch einschätzte, und weil sie ihm zeigen wollte, wer sie wirklich war.
»Vielleicht werde ich ja nicht den Rest meines Lebens Dienerin bleiben«, flüsterte sie und zwang sich, den Kopf abzuwenden und über die Dächer der Stadt zu sehen. »Vielleicht werde ich ja eines Tages herausfinden, was hinter der nächsten Hausecke liegt oder hinter der Stadtmauer. Eines Tages werde ich reisen und andere Städte sehen …«
Tajan folgte ihrem Blick zu den Sternen.
»Du wirst die Welt verändern und frei sein?«
Divya nickte. »Hast du keine Träume?«
Er zupfte sich am Ohr, wie immer, wenn er nervös war, und seine Finger streiften wie unabsichtlich ihre Hand, als er Divya von der Kante zurück zur Dachmitte lenkte.
»Wünsch dich nicht zu weit dort hinaus. Da draußen warten nicht nur deine Träume auf dich.«
Tana
Bisher hatte es Divya immer Freude gemacht, Jo – wie sie sie inzwischen gern nannte – dabei zu helfen, so schön wie möglich auszusehen. Und auch heute hatte sie sich besondere Mühe mit allen Details gegeben. Die Fest-Vesséla, in die Jolissa gerade mühsam hineinstieg, hatte sie eigenhändig genäht und gefärbt, die blaue Strähne leuchtete in perfektem Faeria-Blau, und die aufgesteckten Zöpfe glänzten so blond wie frischer Weizen, den Divya auch tatsächlich aus der Vorratskammer stibitzt, aufgekocht und gepresst hatte, um ihn in Jolissas Haarkuren zu mischen. Sie konnte zufrieden sein mit ihrem Werk, fand sie selbst, während sie einen Knopf nach dem anderen schloss. Aber ihre Finger zitterten, und als sie Jos glühendem Blick im Spiegel begegnete, wich sie ihm aus.
»Was ist? Sehe ich nicht gut aus?«, fragte Jolissa zum siebten Mal an diesem Morgen.
»Nicht, wenn du weiterhin herumhüpfst wie eins von deinen ›Hühnchen‹«.
Divya senkte den Kopf und zupfte an Jolissas Rock, weil sie es kaum ertragen konnte, wie schön und erwachsen ihre Freundin aussah. Es war der Tag ihrer
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