Messertänzerin
heimlich zu sprechen, um ihr die Neuigkeiten zu erzählen, aber sie erwischte sie nie allein. Im Garten wurde gefeiert, die Elleijas wurden gespielt und später sollte es im Speisesaal ein Festessen geben. Divya gab es irgendwann auf und hoffte, Jo nach dem Essen treffen zu können.
Als sie von der Köchin erfuhr, dass es am Abend einen riesigen Zwiebelkuchen geben würde, meldete sie sich freiwillig zum Küchendienst. Eine Stunde lang hackte sie mit roher Gewalt auf dem wehrlosen Gemüse herum, erleichtert, ihren Tränen so unentdeckt freien Lauf lassen zu können. Auf einmal stand die Köchin mit den Händen in den Hüften neben ihr und unterbrach sie mit ungewohnt leiser Stimme und gerunzelter Stirn.
»Habe ich dir beigebracht, das Messer so zu halten? Du benutzt es ja nicht wie ein Werkzeug, sondern wie eine Waffe!«
Divya sah erstaunt auf. »Tut mir leid, ich war wohl in Gedanken.«
»Kraftvolle Gedanken«, versuchte die Köchin zu scherzen. »Vielleicht kannst du deine Energie besser einsetzen, indem du meinen Teig knetest, er könnte deine rohe Behandlung gut gebrauchen.«
Divya folgte ihr zum Tisch, auf dem die große Schüssel bereitstand, bestäubte ihre Hände mit Mehl und wollte schwungvoll hineingreifen. Doch etwas ließ sie innehalten. Etwas fehlte. Über dem Tisch, nein, in der ganzen Küche konnte sie kein einziges Licht sehen. Jetzt erinnerte sie sich, dass sie heute – und gestern? – noch gar keines gesehen hatte. Für gewöhnlich schwebten sie über dem Herd und flatterten um die Vorräte herum.
»Kein Wunder, dass dein Teig nichts wird«, rief sie über die Schulter der Köchin zu. »Du hast die Schale mit Zuckerwasser vergessen.«
Die alte Frau schüttelte mit bedrückter Miene den Kopf. »Hast du nicht gehört?«, flüsterte sie. »Der neue Erlass des Fürsten! Wer den Lichtern noch etwas hinstellt oder über sie spricht, kann schwer bestraft werden, sogar mit Gefängnis.«
Divya versenkte ihre Finger im Teig und runzelte die Stirn. »Warum?«
Die Köchin zögerte und sah sich um, bevor sie weitersprach: »Man hat herausgefunden, dass in manchen Teilen der Stadt die Geisterwesen wieder sehr stark geworden sind, wie früher schon einmal. Sie beeinflussen Menschen.Und schwache Menschen wie die Tassari können sich dagegen nicht wehren. Sie werden von ihnen benutzt! Es gab Einbrüche, sogar Morde in den letzten Jahren! Ich dachte immer, wenn die Lichter nur bei kleinen Dingen helfen, wie hier, dann sind sie ungefährlich … Aber die Ereignisse der letzten Zeit haben wohl doch das Gegenteil bewiesen. Du solltest ab sofort keine Schalen mehr aufstellen.«
Divya nickte und knetete den Teig mit der gleichen Wucht, mit der sie vorhin die Zwiebeln malträtiert hatte. Die Lichter hatten auch ihr Leben verändert. Aber was sie tat, war mit Sicherheit nicht schlecht: lernen und kämpfen. Nun gut, beides stand ihr nicht zu, beides musste sie heimlich tun. War das etwa ein Zeichen dafür, dass das, was sie tat, nicht gut war?
Am Abend, nach den Feierlichkeiten, suchte Divya ihre Freundin in ihrer Kammer, in den Aufenthaltsräumen und im Garten. Als sie sie nirgends fand, vermutete sie sie auf dem Holzsteg. Falls sie dort heute Abend ihren Liebsten traf, würde Divya einfach warten. Sie wollte sie nicht belauschen, aber sie musste sie unbedingt sprechen!
Schon als sie durch den Mauerspalt von der inneren auf die äußere Agida ging, hörte sie sie.
»Erst du.«
»Nein du.«
»Nein du.«
Divya konnte sie nicht sehen, aber die schnurrenden Stimmen brachten eine Saite in ihrem Inneren zum Schwingen, wie es nicht einmal der wohligste Ton der Elleija vermochte. Die Vertrautheit der beiden überraschte sie und tat gleichzeitig weh.
»Mein heutiges Geheimnis …«, flüsterte der Mann unterder Agida gerade, »ist, dass ich heute das schönste Gesicht von Pandrea wiedergesehen habe.«
Divya verdrehte die Augen, aber Jolissa kicherte. »Ihr übertreibt natürlich, wie immer. Nein, heute möchte ich etwas Neues hören.«
»Gut, dann ist mein heutiges Geheimnis …« Er zögerte sehr lange, und Divya hörte Jolissas Ungeduld am Rascheln ihrer Vesséla. »… dass ich heute ein sehr kostbares Brautgeschenk in den Händen gehalten habe.«
Diesmal setzte Jolissas Atem aus. Und Divya glaubte ihre Gedanken lesen zu können: Wer ist deine Braut? Aber sie schwieg, wie es sich für eine Tana gehörte.
»Nun bist du an der Reihe.« Seine Stimme klang, als würde er näher herankommen. »Was ist dein
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