Messertänzerin
Prüfung. Wenn sie bestand, dann war sie eine Tana. Und Maita durfte mit den Heiratsverhandlungen beginnen.
»Die Mädchen werden ihren Brüdern sicher schreiben, wie ich heute ausgesehen habe«, plapperte Jo weiter. »Und ich bin inzwischen fast sicher, dass Roc der Bruder von einemder Hühnchen sein muss. Er ist so oft in der Nähe … dafür muss es doch einen Grund geben. Vielleicht fragt er ab und zu nach dem Befinden seiner Schwester? Findest du nicht, dass er Evjon ein bisschen ähnlich sieht?«
Divyas Gesichtsausdruck versteinerte sich. Evjon war kein gutes Thema, fand sie. Aber Jolissa redete unbeirrt weiter. Wie sollte sie auch davon wissen? Divya hatte ihr zwar erzählt, dass sie sich mit Tajan für Übungen auf dem Dach traf, was Jo schon ziemlich schockiert hatte, aber dass sie ihn mochte – und Evjon daher hasste –, das hatte sie nicht einmal ihrem Spiegelbild gestanden.
»Also, wie sehe ich nun aus?«, fragte Jo mit leuchtenden Augen und strahlte Divya erwartungsvoll an.
»Wunderschön«, sagte Divya schließlich ganz ehrlich und umarmte ihre Freundin, um ihr Glück zu wünschen. »Und jetzt beeil dich! Vergiss deinen Njur nicht!« Sie drückte ihr das hauchfeine Stück Stoff in die Hand und schob sie zur Tür hinaus, damit sie nicht doch noch bemerkte, wie schwer ihr das Lächeln fiel. Auf dem Gang verwandelte sich Jo in dieses andere Wesen, das die Schule aus ihr gemacht hatte. Ihre Schritte wurden weich und fließend und die Sandalen schienen den Boden nicht mehr zu berühren.
Die Zeit des Abschieds hatte bereits begonnen, nur Jolissa hatte es im Rausch ihrer Gefühle noch nicht verstanden. Divya gönnte ihr diesen Tag von ganzem Herzen. Und gleichzeitig war sie wütend, dass ihre Freundin nicht begriff, was er für sie beide bedeutete: Jo würde sehr bald durch die Türen dieser Schule in eine andere Welt gehen. Divya nicht.
Die Prüfung ging über mehrere Stunden, und natürlich schlich Divya, sooft sie konnte, über die Agida, um vondort aus zu spionieren. Auch wenn sie nie Zweifel an den Fähigkeiten ihrer Freundin gehabt hatte, machte sie Maitas strenger Blick, mit dem sie Jolissa musterte, vollkommen nervös. Aber als die Schulglocke für die anderen Mädchen zum Essen läutete, legte Maita die Hand auf Jolissas Schulter und nickte ihr freundlich zu. Das Zeichen, dass sie bestanden hatte!
Divya blieb noch eine Weile auf dem Holzsteg sitzen, während Maita ihre Notizen ordentlich auf ein Blatt Papier übertrug, und sie war unfähig zu begreifen, was dieser Tag für ihre Freundschaft bedeuten würde. Ob Jolissa sie wirklich als Dienerin mitnehmen würde? Ob sie ihren Mann überzeugen konnte?
Auf einmal ertönte eine leise Stimme, die Divya sehr mochte. Rudja, die Tanzlehrerin, hatte die Tür zum Unterrichtsraum geöffnet.
»Jolissa ist im Hof. Sie warten alle darauf, dass Ihr den Kuchen anschneidet.«
»Ungeduld gereicht einer Tana nicht zur Zierde«, erwiderte Maita streng.
»Es ist ihr Geburtstag«, sagte die Lehrerin nachsichtig, und Divya konnte ihr Lächeln hören. »Sie ist so glücklich heute, als wäre sie bereits eine junge Braut.«
Maita schnaubte. »Ihre Mutter war wesentlich beherrschter. Und ebenso schön. Immerhin hat das die Verhandlungen vereinfacht. Ich fürchte nur, Jolissas Ehemann wird sie noch bändigen müssen. Geduld schien mir bisher allerdings nicht seine Stärke zu sein.«
»Es gibt bereits einen Bewerber?«, stutzte Rudja. »Vor ihrem Geburtstag?«
Divya beugte sich weiter vor.
»Einen?«, lachte Maita. »Eine ganze Handvoll. Natürlich durfte ich noch keinem von ihnen Hoffnung machen, aber dieser eine hat sich in den letzten Jahren schon öfter nach ihr erkundigt, er scheint so fest entschlossen zu sein …«
Sie unterbrach sich selbst, als sie bemerkte, dass sie zu viel redete. »Eine äußerst gute Partie«, murmelte sie, bevor sie Rudja ohne große Eile folgte und die Tür hinter sich schloss.
Divya lehnte ihr Gesicht gegen die Holzornamente der Agida und schloss die Augen. Sie wusste, dass sie sich für ihre Freundin freuen sollte. Männer und Frauen, die sich vor ihrer Hochzeit heimlich gesehen haben, und meistens brennen sie vor Liebe, schenken sich heiße Blicke … Jos Traum war also wahr geworden! Roc hatte wirklich um sie geworben! Warum nur konnte sie sich nicht für ihre Freundin freuen? Was ließ sie noch immer daran zweifeln, dass diese Verbindung gut für Jo war?
Divya versuchte den ganzen Tag über, Jolissa einen Moment lang
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