Messertänzerin
innerhalb weniger Minuten nicht mehr passierbar, niemand kam mehr herein oder hinaus. In diesem Moment der Schwäche schickten die Lichter ein Feuer, das den Palast bis auf die Grundmauern niederbrennen ließ. Alle Menschen darin starben, selbst Yorak, der das Unglück heraufbeschworen hatte.«
»Wer konnte dann überhaupt noch die Regierung übernehmen?«, fragte Divya nachdenklich.
»Eine Handvoll Senatoren hatte das Glück, in jener Nacht in der Stadt zu sein. Sie hatten es nicht mehr vor der Flut in den Palast geschafft. Der damals noch junge Fürst Warkan und ein paar andere mussten aus dem Nichts eine neue Regierung aufbauen. Und sie schworen, alles anders zu machen. Sie bauten einen neuen Palast in der Stadt und sorgten für Aufklärung über die Lichter . Und je mehr Menschen sich von den Lichtern abwandten, desto mehr dieser Wesen verließen Pandrea. Was auch immer sie sind – sie haben nur Macht, wenn wir sie ihnen geben.«
Divya runzelte nachdenklich die Stirn, sagte aber nichts.
»Wir dürfen sie nie wieder rufen«, bekräftigte Tajan seine Worte. »Aber die Tassari sind unsere Schwachstelle. Oder der Schlüssel zu den Lichtern durch ihre Riten und Legenden.«
»Warum sie?«
»Weil nur Tassari in der Lage sind, die Lichter zu sehen.«
Der Satz traf Divya unvermittelt und hallte in ihr nach, als müsste ihr Verstand ihn wieder und wieder hören, um ihn zu verstehen. Dennoch wandte sie ihr Gesicht Tajan zu, obwohl sie ahnte, dass es so weiß war wie der Mond.
»Was?«, flüsterte sie erschrocken.
Tajan seufzte. »Die Tassari sind ein Volk von Wilden. Vermutlich haben sie ihre Seelen an die Geisterwelt verkauft, damit sie die Lichter sehen können. Hüte dich einfach vor ihnen und stelle immer klar, dass du anders bist.«
Divya hörte das Blut in den Ohren rauschen und fand keine Worte. Tajan interpretierte ihr Schweigen falsch.
»Keine Sorge! Maita kann beweisen, dass du nicht zuihnen gehörst, du solltest aber mit deinem Rabenhaar und deinen Feuerkohlenaugen nicht auf die Straße gehen. Hier bist du sicher!«
Seine Hand wanderte in Richtung ihrer Haare, aber Divya wich ihm aus und starrte angestrengt auf den Horizont. Ihr Herz schlug so schnell, sie war sicher, dass er es hörte. Nur die Tassari können die Lichter sehen? Sie konnte sie sehen, seit sie denken konnte. Aber wer war sie dann? Was war das Papier wert, mit dem Maita angeblich ihre Herkunft beweisen konnte? Divya wusste inzwischen, dass Maita eine Künstlerin war, wenn es um die Manipulation von Kerzenflammen – oder von Stammbäumen ging.
»Und normale Menschen können wirklich niemals die Lichter sehen?«, fragte sie leise und hatte im gleichen Moment Angst, dass er hören könnte, wie ihre Stimme zitterte.
»Divya, was soll das? Vergiss diese Dinger, du kannst auch ohne sie Haare färben und Kuchen backen. Und lass uns endlich über etwas anderes reden. Ich darf eigentlich nicht einmal wissen, dass die Köchin des Hauses bisher Lichter angelockt hat. Von anderen Dienerinnen ganz zu schweigen.«
Er sprang auf und hielt Divya eine Hand hin, um ihr aufzuhelfen – wie einer Tana. Aber sie ignorierte die Geste und stand in einer fließenden Bewegung auf.
»Du wirst dich von heute an nicht mehr um die Lichter kümmern. Nicht wahr?«, sagte er mit Nachdruck.
»Natürlich nicht«, erwiderte Divya und hoffte, dass sie ihren Gesichtsausdruck wieder im Griff hatte. Dennoch sah sie an seinem steinernen Blick vorbei. »Ich war nur neugierig.«
In welcher Welt hatte sie bis eben gelebt? In einer, inder sie mit einem Sujim befreundet sein konnte und sogar Geschenke von ihm annehmen durfte? Als Dienerin? Als Tassari? Sie spürte, dass sich vor ihr ein großes schwarzes Loch öffnete, in das sie nicht hineinsehen wollte, aber es gab keinen Weg daran vorbei. Sie war eine Tassari, und ihr Unterbewusstsein hatte es vermutlich längst gewusst. Es war so offensichtlich, dass es an ein Wunder grenzte, dass Maita ungestraft das Gegenteil behaupten konnte.
»Willst du gehen?«, fragte Tajan erstaunt. Dann lächelte er. So wie vermutlich schon Hunderte Male zuvor, aber erst heute Nacht bemerkte Divya die Lachfalten dicht neben seinen Augen. Hatte sie ihn noch nie so genau angesehen? Ihre Hand wollte sich nach seiner Wange ausstrecken, aber sosehr sie sich diese Berührung wünschte – eine innere Stimme sagte ihr, dass jede Nähe zu ihm vorbei war. Wie hatte sie einem Mann vertrauen können, der vermutlich über jede Bewegung in diesem Haus
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