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Messertänzerin

Messertänzerin

Titel: Messertänzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rauchhaus
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Bescheid wusste? Der selbst darüber entschied, was davon er der Wache berichtete? Und der die Tassari für Wilde hielt, die man zu Recht wie Vieh einsperrte.
    »Gute Nacht!«, sagte sie mit dem letzten Rest ihrer Beherrschung, aber sie war dem Mond dankbar, dass er gerade hinter einer Wolke verschwand.
     
    Im Bett, ungesehen und im Dunkeln, kamen die Tränen. Sada und so viele andere hatten instinktiv mehr über sie gewusst als sie selbst: Sie war eine Tassari! Zwar hatte sie kein Bild in ihrem Innern für diesen Begriff, aber sie versuchte sich zu erinnern, was die anderen gesagt hatten: Wild. Unkultiviert. Dreckig. Abschaum. Und nun auch noch mit gefährlichen Magiern im Bunde. Wozu sie die Lichter wohlriefen? Um die Stadt noch einmal zu zerstören? Um sich an Warkan zu rächen? Konnten sie die Geisterwesen wohl auf einen Menschen hetzen und ihn so mit einem einzigen Blick vernichten?
    Je mehr sie darüber nachdachte, desto weniger konnte sie fassen, was »Tassari« überhaupt bedeutete. Früher hatte sie ihnen gegenüber Neugier empfunden. Aber was empfand sie seit heute Nacht … für ihr Volk? War es wirklich so schlimm, zu ihnen zu gehören? Ob sie wohl die Einzige von ihnen war, die unerkannt außerhalb ihres Viertels lebte? Warum nur hatte Maita für sie gelogen?
    Divyas erster Gedanke war, gleich morgen früh mit der Schulleiterin darüber zu reden. Und gleichzeitig ahnte sie, dass sie das niemals tun würde. Was sollte sie ihr auch sagen? Habt Ihr meine Papiere gefälscht? Keine gute Idee.
    Bis jetzt war sie immer davon ausgegangen, dass sie eines Tages an Jolissas Seite durch die Stadt schlendern und so auch am Tassari-Viertel vorbeikommen würde. Interessiert, aber unbeteiligt. Nun würde es dieses Viertel schon bald nicht mehr geben. Sie spürte, dass die prickelnde Neugier in etwas anderes umgeschlagen war. Etwas, das Krallen und Zähne hatte und sich mit diesen in ihr Bewusstsein kämpfte, ohne dass sie es auch nur eine Sekunde lang zähmen konnte. Sie musste wissen, wer die Tassari waren. So bald wie möglich. Gleich in der nächsten Nacht!

Mauern
    Wie oft hatte sie schon mit dem Gedanken gespielt, die Schule zu verlassen! Nicht endgültig, nein, ein paar Meter nur, bis zur nächsten Hauswand, bis zur nächsten Ecke. Gewagt hatte sie es nie. Aber das Gedankenspiel war immerhin so weit gegangen, dass sie Vorbereitungen für das Abenteuer ihrer Träume getroffen hatte: Als ihr in der Wäscherei eine zerschlissene Vesséla in die Finger geriet, die sie hätte wegwerfen sollen, hatte sie sie aufgehoben, ausgebessert und für das Klettern präpariert. Sie war schwarz gefärbt, hatte zwei Stoffschichten statt sechs, lag enger an und war ein Stück kürzer. Als sie sie auf dem Dach ausprobiert hatte, war Tajan immerhin einen Moment lang fassungslos gewesen. Auf ihre Frage, ob das Kleidungsstück ihm nicht gefiel, hatte er gesagt: »Im Gegenteil, es ist sehr … praktisch«, und dabei gegrinst.
    Jetzt, als sie die Vesséla in der dunklen Wäscherei anzog, fühlte sie sich hin- und hergerissen zwischen dem Drang, die Tassari in ihrem Viertel sehen zu können, und ihrer Angst. Niemals, seit sie hier lebte, hatte sie einen Schritt vor die Mauern dieser Schule getan! Würde sie dort draußen zurechtkommen? Sich orientieren können? Ihre schlimmste Befürchtung war nicht der Sturz von einem Dach – so weit traute sie ihren Fähigkeiten –, sondern in dem Gewirr der Häuser nicht mehr zu wissen, wo sie war.
    Sie startete von der östlichen Agida aus, die von Tajans Dachseite so weit entfernt war, dass er sie dort nicht entdeckenkonnte. Außerdem war die Entfernung zu den gegenüberliegenden Häusern hier am geringsten. In geduckter Haltung stand Divya auf dem Holzkäfig und starrte hinunter. In einem Hauseingang schräg gegenüber lehnte eine Wache mit geschlossenen Augen an der Wand, vermutlich einer von Tajans Männern. Von Jolissa wusste Divya, dass sie ihre Aufgabe nach vier ereignislosen Jahren nicht mehr so ernst nahmen, denn auch Roc hatte ja die Lücken in ihrer Aufmerksamkeit entdeckt. Dennoch stand dieser Mann äußerst ungünstig.
    Divya überlegte, ob sie es von der Westseite aus probieren sollte, aber dort wäre die Gefahr, dass Tajan sie vom Dach aus bemerkte, viel größer.
    Divya befestigte die Aufsätze mit Metalldornen, die Tajan ihr fürs Klettern angefertigt hatte, an den Stiefeln. Dann warf sie ihr Seil quer über die schmale Gasse zum nächsten Hausdach. Das Geräusch, das der Haken an

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