Messi
nicht mehr so genau, wollten nicht, dass er spielt: ‚Er ist so klein, und die anderen sind so riesig.‘ Um sie zu beruhigen, versprach ich: ‚Ich stelle ihn hier hin, und wenn sie auf ihn losgehen, werde ich das Spiel unterbrechen und ihn wieder vom Platz nehmen.‘“
So jedenfalls lautet Señor Aparicios Version der Geschichte. Die Familie Messi-Cuccittini stellt die Ereignisse etwas anders dar. „Celia brachte Apa dazu, ihn aufzustellen, als er einen Spieler zu wenig hatte. Dem Trainer schmeckte das nicht, weil er so klein war. Aber Großmutter bestand darauf und sagte: ‚Stell ihn auf, du wirst schon sehen, wie gut der kleine Junge spielt.‘ ‚Alles klar‘, entgegnete Apa, ‚aber ich stelle ihn in der Nähe der Seitenlinie auf. Wenn er heult, kannst du ihn selbst wieder herunternehmen.‘“
Über das, was dann geschah, sind sich aber alle einig. Der alte Trainer dazu: „Nun denn, ich gab ihm das Trikot, und er zog es an. Der erste Ball kam in seine Richtung, er starrte ihm hinterher und … nichts.“
Don Apa, wie er hier genannt wird, erhebt sich aus seinem Stuhl und imitiert Messis überraschten Gesichtsausdruck. Dann setzt er sich wieder und erklärt: „Er ist ein Linksfüßer. Deshalb hat er den Ball auch nicht angenommen.“ Apa fährt fort: „Der zweite kam auf seinen linken Fuß. Er nahm ihn an, ging am ersten Mann vorbei, dann am nächsten und am übernächsten. Ich rief: ‚Schieß, schieß!‘ Er hatte Angst, dass ihm jemand weh tun könnte, aber er lief weiter und weiter. Ich weiß nicht mehr, ob er ein Tor geschossen hat – so etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen. Ich sagte mir: ‚Der da wird niemals ausgewechselt.‘ Und ich habe ihn auch nie heruntergenommen.“
Señor Aparicio verschwindet im Nebenraum und kommt mit einer Plastiktüte zurück. Er durchstöbert seine Lebenserinnerungen und findet schließlich das Foto, nach dem er gesucht hat: ein grüner Rasen und eine Kindermannschaft in roten Trikots. Genau vor dem deutlich jünger aussehenden Aparicio steht der Kleinste von allen: die weißen Hosen fast bis zu den Achseln gezogen, das Trikot viel zu groß, der Gesichtsausdruck sehr ernst, die Beinchen krumm. Es ist Lionel, und er sieht wie ein kleines Vögelchen aus – oder wie ein Floh, wie ihn sein Bruder Rodrigo gern nannte.
„Er war Jahrgang ’87 und spielte in der 86er-Mannschaft. Er war der Jüngste und auch körperlich der Kleinste, aber er stach wirklich heraus. Dafür musste er einiges über sich ergehen lassen. Er war ein ganz besonderer Spieler und hatte ein übernatürliches Talent, er ist mit diesem Ballgefühl schon auf die Welt gekommen. Fuhren wir zu einem Spiel, kamen die Leute in Massen, um ihn zu sehen. Bekam er erst einmal den Ball, begann er sein Vernichtungswerk. Er war unglaublich, und keiner konnte ihn aufhalten. Er schoss vier oder fünf Tore pro Spiel. Gegen Club de Amanecer macht er eines, wie man es sonst nur in der Werbung sieht. Ich erinnere mich noch genau, wie er an allen, einschließlich Torwart, vorbeiging. Wie seine Spielweise war? Genau wie heute – frei. Wie er sich benahm? Er war ein ernsthaftes Kind und stand immer schweigend neben seiner Großmutter. Er hat sich nie beschwert. Tat man ihm weh, weinte er gelegentlich, aber er stand jedes Mal wieder auf und lief weiter. Deshalb gerate ich mit jedem in Streit, der behauptet, dass Leo zu eigennützig ist oder nichts Besonderes oder gierig, und verteidige ihn.“
Aus dem Zimmer nebenan ruft seine Frau. Señor Aparicio verschwindet kurz und kehrt mit weiteren Erinnerungen im Gepäck zurück. Etwa an jenes Video, das er anscheinend nicht wiederfinden kann. Auf dem Band sind einige Spiele des Wunderkinds zu sehen. „Ich habe es immer den Kindern gezeigt, damit sie lernten, was man mit dem Ball am Fuß so alles anstellen kann.“ Oder daran, wie er Leo bei dessen erstem Besuch zu Hause nach seinem Wechsel nach Spanien besuchte. „Als die mich sahen, sind sie alle durchgedreht. Ich kam morgens, und als ich ging, war es ein Uhr nachts. Wir haben die ganze Zeit über den Fußball drüben in Spanien geplaudert.“ Oder wie einmal die Nachbarschaft zu Ehren Lionels eine Feier organisiert hatte. „Sie wollten am Grandoli-Platz eine Gedenktafel für ihn enthüllen. Am Ende konnte Leo doch nicht kommen. Er rief später an und sagte: ,Dankeschön, vielleicht nächstes Mal.‘“
Bei dem alten Fußballlehrer ist keine Spur von Bitterkeit zu spüren. Ganz im Gegenteil spricht er voller Liebe
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