Meteor
heutige Pressekonferenz gemacht hatte, konnte sie sich gut vorstellen, dass Pickering den ganzen Abend in seinem Büro vor dem Fernseher gehockt und sich gefragt hatte, was wohl in der Welt vorgegangen sein mochte, worüber der Chef des NRO nicht schon vorab im Bilde war. Marjorie Tench hätte sich ohrfeigen können, weil sie nicht auf ihren Instinkt gehört hatte, als der Präsident auf die Idee gekommen war, Rachel Sexton zum Milne-Eisschelf zu schicken. Sie hatte ein ungutes Gefühl gehabt und eingewandt, dass es ein unnötiges Risiko sei. Doch der Präsident hatte seine ganze Überzeugungskraft aufgewandt und geltend gemacht, sein Mitarbeiterstab sei in den letzten Wochen amtsmüde geworden und würde der NASA-Entdeckung skeptisch gegenüberstehen, wenn die Meldung aus dem Hause selbst käme. Wie von Herney vorausgesagt, hatte der von Rachel Sexton abgegebene Bericht jedem Verdacht den Boden entzogen. Eine hausinterne Diskussion war gar nicht erst aufgekommen. Der Mitarbeiterstab hatte wieder Tritt gefasst und zu einer gemeinsamen Front gefunden.
Ein unschätzbarer Erfolg, das musste Marjorie Tench zugeben.
Und jetzt diese Töne!
Das Luder hat auf einer offenen Leitung angerufen!
Rachel Sexton war sichtlich darauf aus, die Glaubwürdigkeit der Entdeckung infrage zu stellen. Der einzige Trost war, dass der Präsident Rachel Sextons Erklärung vom Nachmittag auf Band hatte aufnehmen lassen. Gott sei Dank! So viel Vorsicht hatte Herney immerhin walten lassen. Marjorie Tench hatte das ungute Gefühl, man würde das Band noch brauchen.
Im Augenblick jedoch würde sie versuchen, dem Problem auf andere Weise beizukommen. Rachel Sexton war nicht dumm; wenn sie wirklich vorhatte, sich mit dem Weißen Haus und der NASA anzulegen, musste sie sich mächtige Verbündete besorgen. Der Erste, der dafür in Frage kam, war logischerweise William Pickering. Pickerings Einstellung zur NASA war Marjorie Tench bekannt. Sie musste mit Pickering reden, bevor Rachel es tat.
»Miss Tench?«, sagte eine körperlose Stimme im Hörer. »Hier Pickering. Was verschafft mir die Ehre?«
Marjorie Tench hörte den Fernseher im Hintergrund laufen – NASA-Kommentare. Sie spürte schon an Pickerings Stimme, dass er sich vom Schock der Pressekonferenz noch nicht erholt hatte. »Kann ich Sie einen Moment sprechen?«
»Ich hätte erwartet, dass Sie jetzt kräftig feiern. Sieht aus, als lägen die NASA und der Präsident wieder gut im Rennen.«
Marjorie Tench bemerkte eine Mischung aus Erstaunen und Bissigkeit in seiner Stimme – letztere zweifelsfrei ein Nebenprodukt seiner legendären Ungnädigkeit, wenn er wichtige Neuigkeiten gleichzeitig mit den normalen Sterblichen erfuhr. Sie versuchte, ihm eine goldene Brücke zu bauen. »Ich muss mich entschuldigen«, sagte sie, »aber das Weiße Haus und die NASA hatten leider keine andere Wahl, als Ihnen den Vorgang vorzuenthalten.«
»Es dürfte Ihnen bekannt sein«, entgegnete Pickering, »dass das NRO vor ein paar Wochen dort oben NASA-Aktivitäten festgestellt und eine Untersuchung vorgenommen hat.«
Er ist sauer, dachte Marjorie Tench. »Gewiss, das ist uns bekannt, aber…«
»Die NASA hat uns auf Anfrage die Auskunft gegeben, es sei belanglos, es handle sich um eine Übung unter extremen Witterungsbedingungen – Gerätetests und so weiter.« Pickering machte eine Pause. »Wir haben der NASA die Lüge abgekauft.«
»Wir wollen es doch nicht gleich eine Lüge nennen«, sagte Marjorie Tench. »Es war eher eine notwendige Schutzbehauptung. In Anbetracht der Bedeutsamkeit der Entdeckung darf ich doch mit Ihrem Verständnis rechnen, dass die NASA die Sache unter Verschluss halten musste.«
»Gewiss – vor der Öffentlichkeit.«
Beleidigtsein gehörte nicht zum Verhaltensrepertoire von Männern wie William Pickering. Marjorie Tench spürte, dass es für ihn hiermit sein Bewenden hatte.
»Ich habe leider nicht viel Zeit«, sagte sie, um wieder das Heft in die Hand zu bekommen, »aber ich dachte mir, ich sollte Sie anrufen und warnen.«
»Mich warnen?« Pickerings ironischer Tonfall war sofort wieder da. »Hat Zach Herney beschlossen, meiner Behörde einen neuen, NASA-freundlichen Direktor vor die Nase zu setzen?«
»Natürlich nicht. Der Präsident weiß durchaus, dass Ihre Kritik an der NASA lediglich aus Sicherheitserwägungen erfolgt, und er arbeitet daran, die lecken Stellen abzudichten. Nein, ich rufe Sie wegen einer Ihrer Mitarbeiterinnen an. Rachel Sexton. Haben Sie von Ihr
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