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Metro 2034

Metro 2034

Titel: Metro 2034 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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hätte man seine Lieblingskatze ausgestopft. An nicht bewohnbaren Orten wie dem Nachimowski prospekt wiederum hatten zwar die Zeit sowie Vandalen ihre Spuren hinterlassen, die Züge jedoch waren dabei ganz geblieben.
    Homer konnte den Blick einfach nicht losreißen. Das Rascheln und Zischen, das sich von der Station her näherte, trat in den Hintergrund, und er hörte wieder die gespenstische Alarmsirene heulen und dann das tiefe Signal des Zuges, das eine bis zu jenem Tag ungehörte Botschaft verbreitete, einmal lang, zweimal kurz: »Atom«!Bremsen quietschten, und aus den Lautsprechern kam die verwirrte Ansage: »Verehrte Passagiere, aus technischen Gründen kann unser Zug derzeit nicht weiterfahren.«
    Weder der ins Mikrofon murmelnde Zugführer noch sein Assistent Homer waren sich bewusst, wie viel Ausweglosigkeit in diesem formelhaften Satz lag.
    Das angestrengte Knarren der hermetischen Sperren . Sie trennten die Welt der Lebenden ein für alle Mal von der Welt der Toten. Laut Anweisung mussten die Tore spätestens sechs Minuten nach dem Alarmsignal endgültig geschlossen werden, gleich wie viele Menschen sich noch auf der anderen Seite befanden. Diejenigen, die sich der Schließung widersetzten, waren zu erschießen.
    Würde ein kleiner Milizionär, der normalerweise Obdachlose und Betrunkene von der Station verjagte, es überhaupt fertigbringen, einem Mann in den Bauch zu schießen, der sich dieser riesigen eisernen Maschine entgegenstemmte, damit seine Frau mit ihrem abgebrochenen Absatz noch hineinschlüpfen konnte? Würde die dreiste Drehkreuztante mit dem Uniformkäppi, die in ihren dreißig Berufsjahren in der Metro genau zwei Dinge zur Perfektion gebracht hatte, nämlich ihren Durchgang zu versperren und Rowdys zur Ordnung zu pfeifen, würde sie einen nach Luft schnappenden Greis mit bescheidener Ordensspange nicht passieren lassen? Die Instruktionen sahen genau sechs Minuten vor, um sich aus einem Menschen in eine Maschine zu verwandeln. Oder in ein Monster.
    Das Kreischen der Frauen und die Schreie der Männer, das hemmungslose Heulen der Kinder, das Knallen der Pistolen und das Rattern der Maschinengewehrsalven . Aus jedem Lautsprecher ertönte metallisch und emotionslos der Aufruf, Ruhe zu bewahren. Jemand Unwissendes verlas ihn, denn niemand, der Bescheid wusste, hätte derart beherrscht und gleichgültig zu wiederholen vermocht: »Bitte Ruhe bewahren!« Weinen, Flehen . Wieder Schüsse.
    Und exakt sechs Minuten nach dem Alarm, eine Minute vor dem Armageddon - das dumpfe Friedhofsläuten der sich schließenden Torhälften. Das satte Klicken der Verriegelung.
    Stille. Wie in einer Gruft.
    Um an dem Waggon vorbeizukommen, mussten sie an der Wand entlanggehen; der Zugführer hatte zu spät gebremst, vielleicht war er von irgendwelchen Vorfällen auf dem Bahnsteig abgelenkt gewesen. Über eine Eisenleiter stiegen sie nach oben und fanden sich wenige Augenblicke später in einem erstaunlich geräumigen Saal wieder. Keine Säulen, sondern ein einziges halbrundes Deckengewölbe mit eiförmigen Vertiefungen für die Lampen. Das Gewölbe war riesig, es umfasste sowohl den Bahnsteig als auch beide Gleise mit den darauf befindlichen Zügen. Eine unglaublich elegante, leichte Konstruktion -einfach und lakonisch.
    Nur nicht nach unten schauen, nicht unter die Füße, nicht nach vorne. Nicht sehen, was aus dieser Station geworden war.
    Ein grotesker Totenacker, auf dem niemand seine Ruhe fand, eine furchtbare Fleischhalle, übersät mit abgenagten Skeletten, verwesenden Körpern, abgerissenen Leichenteilen. Abscheuliche Kreaturen hatten gierig alles hierhergeschleppt, was sie innerhalb ihres ausgedehnten Reiches erhaschen konnten, viel mehr als sie auf einmal fressen konnten - auf Vorrat. Diese Vorräte verfaulten und zersetzten sich, und dennoch häuften sie immer noch mehr an.
    Die Hügel aus totem Fleisch regten sich, allen Gesetzen zum Trotz, als ob sie atmeten, und von überallher drang ein widerliches, schabendes Geräusch. Der Lichtstrahl fing eine dieser seltsamen Gestalten ein: lange, knotige Extremitäten, eine schlaffe, in Falten herabhängende, haarlose graue Haut, ein verkrümmter Rücken. Die trüben Augen glotzten halb blind umher, und die riesigen Ohrmuscheln bewegten sich, als lebten sie ihr eigenes Leben.
    Das Wesen gab einen heiseren Schrei von sich und zog sich langsam, auf allen vieren, zu den offenen Waggontüren zurück. Ebenso träge begannen die anderen Leichenfresser von ihren

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