Metro 2034
Boden und schrie vor Schmerz. Der Hüne ging neben ihm in die Hocke, richtete einen langen Pistolenlauf mit Schalldämpfer gegen sein Genick und drückte ab.
Das Geheul brach augenblicklich ab, doch das Echo irrte noch einige Sekunden durch das Gewölbe der Station, gleich einem verlorenen Wesen, dem man seinen Körper weggenommen hatte.
Der Schuss hatte ihm das Kinn fortgerissen, und nun lag Saschas Entführer da und zeigte ihr sein Gesicht - einen schleimigen, roten Trichter. Sascha zog den Kopf ein und begann leise zu wimmern. Der furchtbare Mann richtete langsam, nachdenklich den Lauf der Pistole auf sie.
Dann sah er sich um und entschied sich anders. Die Pistole verschwand in einem Schulterhalfter, und er selbst trat zurück, als wolle er sich von seiner Tat distanzieren. Er öffnete eine flache Feldflasche und setzte sie an die Lippen.
Nun betrat ein weiterer Charakter die kleine Bühne, die von der allmählich schwächer werdenden Lampe des Dicken erleuchtet wurde: ein alter Mann. Er atmete schwer und presste eine Hand gegen die Rippen. Er trug den gleichen Schutzanzug wie der Killer, bewegte sich darin jedoch äußerst ungeschickt. Kaum hatte er seinen Begleiter eingeholt, sank der Alte sogleich erschöpft zu Boden.
Er bemerkte nicht einmal, dass alles voller Blut war. Erst nachdem er sich etwas erholt hatte und die Augen öffnete, erblickte er die beiden entstellten Leichen. Und dazwischen das stumme, völlig verängstigte Mädchen.
Eben erst hatte sich sein Herz beruhigt - doch nun fing es wieder heftig zu schlagen an. Noch ehe Homer die Worte dafür fand, wusste er es: Er hatte sie gefunden. Nach all den vergeblichen Versuchen, die Heldin seines Romans des Nachts vor seinem geistigen Auge erstehen zu lassen, ihre Lippen und Hände, ihre Kleidung, ihren Geruch, ihre Bewegungen und Gedanken zu erfinden, stand er nun plötzlich vor einer Person aus Fleisch und Blut, die seinen Vorstellungen exakt entsprach.
Doch nein, eigentlich hatte er sie sich etwas anders vorgestellt - eleganter, ebenmäßiger - und sicherlich erwachsener. Diese hier hatte zu viele Ecken und Kanten, und in ihren Augen erblickte Homer nicht etwa warmen, schmachtenden Flor, sondern zwei Splitter aus hartem Eis. Aber er wusste, dass er es war, der sich geirrt hatte, er hatte nicht vorausahnen können, wie sie sein würde.
Ihr gehetzter Blick, die ängstlichen Gesichtszüge, die gefesselten Hände -all das faszinierte ihn. Sicher, er wusste so manche Geschichte hervorragend nachzuerzählen, doch eine Tragödie zu schreiben wie jene, die dieser jungen Frau widerfahren war, das hätte seine Fähigkeiten bei weitem überstiegen. Ihre Hilflosigkeit, ihr Ausgeliefertsein, ihre wundersame Rettung und die Art und Weise, wie sich ihr Schicksal mit seiner und Hunters Geschichte verwob - all dies konnte nur eines bedeuten: Er war auf dem richtigen Weg.
Er glaubte ihr, noch bevor sie ein einziges Wort gesagt hatte. Denn neben allem anderen besaß dieses Mädchen mit ihren wirren blonden, ungeschickt zurechtgestutzten Haaren und spitzen Ohren, den rußverschmierten Wangen, den fragilen, entblößten, erstaunlich weißen Schultern und ihrer kindlich vollen, zerkauten Unterlippe eine ganz besondere Art von Schönheit, so dass sich zu seiner Neugier auch Mitleid und eine spontane, zärtliche Zuneigung gesellten.
Homer trat näher und ging vor ihr in die Hocke. Sie duckte sich, kniff die Augen zusammen. Eine Wilde, dachte er. Da ihm nichts einfiel, was er sagen konnte, tätschelte er ihr sanft die Schulter.
»Wir müssen weiter«, knurrte Hunter. »Und was ist mit.« Homer deutete mit fragendem Blick auf das Mädchen. »Nichts. Sie geht uns nichts an.« »Wir können sie doch nicht allein zurücklassen!« »Dann verpassen wir ihr eben eine Kugel«, entgegnete der Brigadier harsch.
»Ich will nicht mit euch gehen«, sagte das Mädchen mit überraschender Klarheit. »Nehmt mir nur die Handschellen ab. Die Schlüssel hat wahrscheinlich der da.« Sie deutete auf die gesichtslose Leiche am Boden. Mit einigen wenigen Handgriffen durchsuchte Hunter die Leiche und fischte aus einer Innentasche einen Bund mit Blechschlüsseln heraus. Er warf ihn dem Mädchen hin, blickte Homer an und sagte: »Zufrieden?« Der Alte spielte auf Zeit. »Was hat dir dieser Schweinehund angetan?«, fragte er die Kleine. »Nichts«, erwiderte sie, während sie mühsam an dem Schloss herumfuhrwerkte. »Er ist nicht so weit gekommen. Er ist kein Ungeheuer. Ein gewöhnlicher
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