Metro 2034
gehorchen.
Sie erwachte und hob mühsam die Lider.
Die Fesseln waren kein Traum gewesen: Saschas Handgelenke steckten in Handschellen. Sie lag auf der schmutzigen Ladefläche der alten Bergwerksdraisine, die sich monoton winselnd und quälend langsam vorwärtsschleppte. In ihrem Mund steckte ein schmutziger Lappen, und ihre Schläfe schmerzte und blutete.
Er hat mich nicht getötet, dachte sie. Warum?
Von der Ladefläche aus sah sie nur einen Ausschnitt der Tunneldecke. In einem ungleichmäßigen Lichtstrahl flackerten die Nahtstellen der Tunnelringe auf. Plötzlich verschwand die Tunnelwölbung und abgeblätterte weiße Farbe wurde sichtbar. Was war das für eine Station?
Dies war ein unguter Ort: nicht nur ruhig, sondern totenstill, nicht nur menschenleer, sondern leblos, und dazu stockfinster. Dabei hatte sie immer gedacht, dass die Stationen dort, auf der anderen Seite der Brücke, voller Menschen wären und überall unglaublicher Lärm herrschte.
Sollte sie sich geirrt haben?
Die Decke über Sascha bewegte sich nicht mehr. Ächzend und fluchend kletterte ihr Entführer auf den Bahnsteig, ging umher, wobei seine beschlagenen Absätze seltsam knirschten. Er schien die Umgebung zu erkunden. Offenbar hatte er die Gasmaske bereits abgesetzt, denn auf einmal hörte sie ihn herablassend murmeln: »Da bist du also. Ist ja wirklich'ne Weile her.« Er atmete erleichtert aus, dann schlug - nein trat - er gegen etwas Lebloses, Schweres: einen vollen Sack?
Die Erkenntnis traf Sascha wie ein Blitz. Sie verbiss sich in den stinkenden Lappen und begann dumpf zu stöhnen, ihr Körper verbog sich krampfhaft. Nun wusste sie, wohin sie der Dicke mit dem Schutzanzug gebracht hatte, und wem seine Worte galten.
Allein schon die Idee, Hunter zurückzulassen, war absurd. Mit einigen wenigen raubtierartigen Sprüngen hatte dieser Homer eingeholt, packte ihn an der Schulter und schüttelte ihn schmerzhaft. »Was ist los mit dir?«
»Noch ein Stück weiter.«, krächzte der Alte. »Mir ist da etwas eingefallen. Es gibt einen Gang direkt zur Samoskworezkaja-Linie, noch vor der Kaschirskaja. Wenn wir da durchgehen, kommen wir gleich in den Tunnel und müssen nicht durch die Station laufen. Wir umgehen sie und kommen direkt bei der Kolomenskaja raus. Es kann nicht weit sein. Bitte.«
Homer nutzte den Moment, da Hunter zögerte, um sich loszureißen, doch verfing er sich in den breiten Hosenbeinen seines Anzugs, fiel aufs Gleis, rappelte sich wieder auf und stapfte trotzig weiter. Hunter packte den Alten mit einer Leichtigkeit, als wäre dieser eine Ratte, und drehte ihn mit dem Gesicht zu sich, beugte sich zu ihm herab, bis die Sichtfenster ihrer Gasmasken auf gleicher Höhe waren. Einige Sekunden lang blickte er Homer an, dann lockerte er seinen Griff. »Na gut«, knurrte er.
Von jetzt an zog der Brigadier Homer hinter sich her, ohne auch nur einen Augenblick stehenzubleiben. Das Pochen des Bluts in seinen Ohren übertönte das Knacken der Geigerzähler, die steifen Beine gehorchten ihm kaum noch, seine Lungen schienen vor Anstrengung zu bersten.
Fast hätten sie den pechschwarzen Fleck des engen Schlupflochs übersehen. Sie zwängten sich hinein und liefen noch einige lange Minuten, bis sie bei einem neuen Tunnel herauskamen. Der Brigadier blickte sich hastig um, tauchte zurück in den Gang und fuhr den Alten an: »Wohin hast du mich geführt? Bist du hier überhaupt schon mal gewesen?«
Etwa dreißig Meter weiter links, in der Richtung, die sie einschlagen mussten, war der Tunnel vom Boden bis zur Decke mit etwas versperrt, das entfernt an ein Spinnennetz erinnerte.
Homers Luft reichte nicht zum Sprechen, also schüttelte er nur den Kopf. Das war die reine Wahrheit - es hatte ihn noch nie zuvor hierher verschlagen. Das, was er von diesem Ort gehört hatte, würde er Hunter besser nicht erzählen.
Der Brigadier nahm das Sturmgewehr in die linke Hand, zog aus seinem Rucksack ein langes, rechteckiges Messer, eine Art selbstgemachte Machete, und hieb die klebrigweiße Gaze durch. Die vertrockneten Panzer fliegender Kakerlaken, die in den Netzen hingen, fingen an zu zittern und zu klappern wie verrostete Schellen. Die Wunde begann sogleich wieder ihre Ränder zu schließen, als ob sie zuwüchse.
Der Brigadier schob ein halb transparentes Stück Spinnleinwand beiseite, steckte seinen Scheinwerfer hindurch und leuchtete in den Seitentunnel. Sie würden Stunden brauchen, um sich den Weg freizuschlagen: Die klebrigen Fäden
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