Metro 2034
weiträumig, aber kalt - hatte sich hochmütig von ihrem Vater und ihr abgewandt, sie verstoßen, und das konnte sie ihr nicht vergessen.
Ihre Beziehung zur Pawelezkaja dagegen war unbelastet, und mit jeder Minute fühlte Sascha immer mehr, dass sie sich in diese Station verliebte. In die leichten, weit ausgreifenden Säulen, die großen, einladenden Bögen, den edlen Marmor, dessen feine Adern die Wände wie die zarte Haut eines Menschen erscheinen ließen . War die Kolomenskaja armselig gewesen und die Awtosawodskaja finster, so gebärdete sich diese Station wie eine Frau: In ihrer sorglosen und verspielten Art erinnerte die Pawelezkaja noch nach Jahrzehnten an ihre einstige Schönheit.
Die Menschen hier können nicht grausam oder böse sein, dachte Sascha. Sie und ihr Vater hätten also tatsächlich nur eine feindliche Station überwinden müssen, um an diesen magischen Ort zu gelangen. Er hätte tatsächlich nur einen Tag länger leben müssen, um aus der Verbannung zu fliehen und erneut die Freiheit zu erlangen. Sie hätte den Kahlen sicher dazu gebracht, sie beide mitzunehmen.
In der Ferne flackerte ein Lagerfeuer, um das sich Wachleute drängten. Der Lichtstrahl eines Scheinwerfers tastete sich an der hohen Decke entlang, doch Sascha zog es nicht dorthin. Wie viele Jahre hatte sie geglaubt, sie müsse nur von der Kolomenskaja entkommen und andere Menschen treffen, um glücklich zu werden!Aber nun verlangte es sie nur nach einem einzigen Menschen um ihre Begeisterung zu teilen, ihr Staunen darüber, dass die Erde tatsächlich noch um ein ganzes Drittel größer war, und ihre Hoffnung darauf, alles wiedergutmachen zu können. Aber wer sollte sie, Sascha, brauchen? Kein Mensch würde sie brauchen, ganz gleich, was sie sich und dem Alten auch einredete.
Und so schlenderte das Mädchen in entgegengesetzter Richtung weiter, dorthin, wo ein halb verfallener Zug mit eingeschlagenen Fensterscheiben und offenen Türen bis zur Hälfte im rechten Tunnel verschwand. Sie trat ein, sprang von einem Waggon zum anderen, inspizierte den ersten, den zweiten, dann den dritten. Im letzten entdeckte sie ein auf wundersame Weise unversehrt gebliebenes Sofa und legte sich darauf. Sie blickte sich um und versuchte sich vorzustellen, dass der Zug jeden Moment losfahren würde, um sie zu neuen Stationen zu bringen, die hell und voll lärmender menschlicher Stimmen waren. Doch fehlten ihr sowohl der Glaube als auch die Fantasie, um all diese Tonnen Stahlschrott von der Stelle zu bewegen. Mit ihrem Fahrrad war ihr das wesentlich leichter gefallen. Dann plötzlich war das Versteckspiel zu Ende: Kampfgeräusche sprangen von Waggon zu Waggon auf Sascha zu und erreichten sie schließlich.
Schon wieder? Sie sprang auf die Beine und stürzte hinaus auf den Bahnsteig - den einzigen Ort, wo sie wenigstens noch imstande war, etwas auszurichten.
Die zerfetzten Leichen der Wachleute lagen neben der gläsernen Kabine mit dem reglosen Scheinwerfer, über dem erloschenen Feuer sowie in der Mitte der Halle. Weitere Kämpfer hatten offenbar frühzeitig allen Widerstand aufgegeben und waren losgerannt, um im Durchgang Zuflucht zu suchen, doch der Tod hatte sie auf halbem Wege eingeholt.
Über einem der Körper stand gebückt eine unheilvolle, unnatürliche Gestalt. Obwohl sie aus dieser Entfernung schlecht zu sehen war, erkannte Homer eine glatte weiße Haut, einen mächtigen, zuckenden Kamm sowie ungeduldig sich bewegende Beine mit mehreren, stark eingeknickten Gelenken.
Die Schlacht war verloren.
Wo war Hunter? Homer lehnte sich noch einmal vor und erstarrte. Vielleicht zehn Schritte von ihm entfernt, genauso weit hinter der Säule hervor ragend wie Homer selbst, wie um ihn zu locken oder mit ihm zu spielen, starrte aus einer Höhe von über zwei Metern eine furchtbare Fratze auf ihn herab. Von der Unterlippe tropfte es rot, und der schwere Kiefer kaute mit unablässiger Bewegung auf einem furchtbaren Brocken herum. Unter der flachen Stirn war nichts, doch dass die Kreatur keine Augen hatte, hinderte sie offenbar in keinster Weise daran, andere Wesen wahrzunehmen, sich zu bewegen und anzugreifen.
Homer fuhr herum und drückte auf den Abzug, doch sein Gewehr blieb stumm. Die Chimäre stieß einen langen, ohrenbetäubenden Schrei aus und sprang in die Mitte des Saals. Panisch fummelte Homer an dem Verschluss herum, obwohl er wusste, dass es keinen Zweck mehr hatte.
Doch plötzlich schien das Ungeheuer das Interesse an ihm verloren zu haben - es
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