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Metro 2034

Metro 2034

Titel: Metro 2034 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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Vorstellung, dass der Brigadier Schwachstellen haben könnte, die ihn wenn nicht verletzlich, so doch empfindlich machten, fand Homer abwegig.
    Er konnte einfach nicht schlafen. Obwohl er die stickige Gasmaske gegen einen leichten Atemschutz ausgetauscht hatte, fiel ihm das Atmen noch immer schwer, und noch immer war es, als würde ein Schraubstock seinen Kopf zusammenpressen.
    All seine alten Habseligkeiten hatte Homer im Tunnel zurückgelassen. Mit einem Stück grauer Seife hatte er sich die Hände gescheuert, den Schmutz mit veralgtem Wasser aus einem Kanister abgewaschen und beschlossen, von nun an stets eine Atemmaske zu tragen. Was hätte er noch tun können, um die Menschen in seiner Nähe zu schützen?
    Nichts. Wirklich nichts mehr. Nicht einmal fortzugehen, sich in die Tunnel zu schlagen und selbst zu einem Haufen vergammelter, zurückgelassener Fetzen zu werden hätte geholfen. Doch dass er nun dem Tod so nahe stand, versetzte ihn unvermittelt um mehr als zwanzig Jahre zurück, in jene Zeit, als er gerade erst alle Menschen verloren hatte, die er liebte. Und dies verlieh seinen Plänen neuen, wahrhaftigen Sinn.
    Wäre es in Homers Macht gestanden, er hätte ihnen ein echtes Denkmal gesetzt. Doch wenigstens einen gewöhnlichen Grabstein hatten sie verdient. Geboren waren sie Jahrzehnte auseinander, gestorben an ein und demselben Tag: seine Frau, seine Kinder und seine Eltern.
    Und dann seine Klassenkameraden und die Freunde aus der Berufsschule. Die Schauspieler und Musiker, die er so verehrt hatte. Einfach all jene, die an jenem Tag noch in der Arbeit oder bereits zu Hause angekommen oder auf halbem Wege in einen Stau geraten waren.
    Jene, die gleich umkamen, und jene, die noch lange Tage in der verseuchten, halb zerstörten Hauptstadt zu überleben versuchten und schwach an den verriegelten Sicherheitstoren der Metro kratzten. Jene, die augenblicklich in kleinste Atome pulverisiert wurden, und jene, die aufquollen und bei lebendigem Leibe auseinanderfielen, zerfressen von der Strahlenkrankheit. Die Aufklärer, die damals als Erste an die Oberfläche gingen, litten noch mehrere Tage nach ihrer Rückkehr unter Schlafstörungen. Homer hatte einige von ihnen am Lagerfeuer einer Umsteigestation getroffen. In ihren Augen erblickte er den unauslöschlichen Eindruck, den die Stadt hinterlassen hatte; ihre Augen glichen erstarrten Flüssen, die vor toten Fischen überquollen. Tausende abgewürgter Autos mit leblosen Passagieren, die die Prospekte und Ausfallstraßen Moskaus verstopften. Überall Leichen. Niemand war da, um sie fortzuschaffen - bis schließlich neue Wesen die Herrschaft über die Stadt ergriffen.
    Um sich zu schonen, mieden die Aufklärer Schulen und Kindergärten. Doch um den Verstand zu verlieren genügte es bereits, wenn einer von ihnen zufällig durch das staubige Fenster eines Familienautos einen stieren Blick vom Rücksitz erhaschte. Milliarden von Leben waren mit einem Mal abgerissen.
    Milliarden Worte waren ungesagt geblieben, Milliarden Träume unverwirklicht, Milliarden Kränkungen unverziehen. Nikolais jüngster Sohn hatte ihn schon die ganze Zeit um eine große Packung Farbfilzstifte angebettelt, seine Tochter fürchtete sich vor dem Eiskunstlauf-Training, und seine Frau hatte ihm vor dem Schlafengehen noch geschildert, wie sie ihren kurzen Urlaub zu zweit am Meer verbringen würden.
    Als er begriff, dass diese kleinen Wünsche und Leidenschaften ihre letzten gewesen waren, erschienen sie ihm auf einmal von außerordentlicher Wichtigkeit.
    Am liebsten hätte Homer für jeden von ihnen eine Gedenktafel graviert, doch eine Inschrift auf dem gigantischen Massengrab der Menschheit war sicher auch ein würdiges Unterfangen. Und nun, da ihm selbst kaum noch Zeit blieb, glaubte er, dafür die richtigen Worte finden zu können.
    Er wusste noch nicht, in welcher Reihenfolge er sie anbringen, womit er sie befestigen, wie er sie verzieren würde, doch spürte er: In der Geschichte, die sich vor seinen Augen abspielte, würde sich auch ein Platz finden für all die rastlosen Seelen, all die Gefühle, all die kleinen Wissenskörner, die er so akribisch gesammelt hatte, und am Ende auch für ihn selbst. Dieser Plot war dafür geeignet wie kaum ein anderer.
    Sobald es oben hell wurde und sich unten die Händler wieder in die Station trauten, würde er versuchen ein sauberes Notizbuch und einen Kugelschreiber aufzutreiben. Er musste sich beeilen: Wenn er die Konturen seines künftigen Romans, die wie

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