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Metro 2034

Metro 2034

Titel: Metro 2034 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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davon, spielend und ködernd. Sie wusste sofort, was es war: ein Tunnellicht.
    Wenn ein Mensch in der Metro stirbt, so hatte ihr Vater erzählt, irrt seine Seele verloren durch ein finsteres Labyrinth von Tunneln, die nirgendwohin führen. Sie begreift nicht, dass sie nicht mehr an einen Körper gebunden, ihr irdisches Leben zu Ende ist, muss so lange umher irren, bis sie irgendwo in der Ferne den Schein eines geisterhaften Feuers erblickt. Sodann muss sie ihm hinterhereilen, denn dieses Feuer ist gesandt, die Seele dorthin zu führen, wo sie Ruhe findet. Es kommt jedoch auch vor, dass sich das Feuer dieser Seele erbarmt und sie in ihren verlorenen Körper zurückbringt. Von diesen Menschen sagt man, dass sie aus dem Jenseits zurückgekehrt sind. Richtiger wäre es jedoch zu sagen, dass die Dunkelheit sie noch einmal freigelassen hat.
    Das Tunnellicht lockte Sascha, immer wieder, und schließlich gab sie nach und ließ sich darauf ein. Sie spürte ihre Beine nicht, aber das war auch nicht nötig: Um dem davongleitenden Lichtfleck zu folgen, durfte sie ihn nur nicht aus den Augen verlieren, musste ihn fixieren, als wollte sie ihn überreden, ihn zähmen.
    Sascha hatte das Licht mit ihrem Blick eingefangen, und nun zog es sie durch die undurchdringliche Finsternis, durch das Tunnellabyrinth, aus dem sie allein niemals hinausgefunden hätte, bis zur letzten Station ihrer Lebenslinie. Und dann sah sie etwas vor sich: Ihr Führer schien die Konturen eines entfernten
    Zimmers zu skizzieren, in dem man sie erwartete. »Sascha!«, rief eine Stimme nach ihr. Erstaunt registrierte sie, dass sie die Stimme kannte, doch wusste sie nicht mehr, wem sie gehörte. In ihr schwangen vertraute, zärtliche Töne mit. »Papa?«, fragte sie ungläubig.
    Sie waren angekommen. Das gespenstische Tunnelfeuer blieb stehen, verwandelte sich in eine gewöhnliche Flamme, sprang auf den Docht einer zusammengeschmolzenen Kerze und machte es sich dort bequem wie eine Katze, die von einem Streifzug zurückkehrt .
    Eine kühle, schwielige Hand lag auf der ihren. Zögerlich löste Sascha den Blick von der Flamme -sie fürchtete, sie könne jeden Augenblick wieder zu Boden sinken. Kaum war sie erwacht, spürte sie einen stechenden Schmerz im Unterarm, ihre Schläfe begann zu pochen. Aus der Dunkelheit tauchten schwankend einige einfache Möbelstücke auf: ein Paar Stühle, ein Nachttisch. Sie selbst lag auf einer Liege, so weich, dass sie ihren Rücken gar nicht spürte. Als bekäme sie ihren Körper erst allmählich, in Etappen zurück.
    »Sascha?«, wiederholte die Stimme.
    Sie richtete ihren Blick auf den, der da sprach, und zog hastig ihre Hand zurück. An ihrem Bett saß der Alte, mit dem sie auf der Draisine gefahren war. Seine Berührung war ohne jeglichen Anspruch gewesen, weder harsch noch unanständig. Scham und Enttäuschung hatten sie zurückfahren lassen: Wie hatte sie die Stimme eines Fremden mit der ihres Vaters verwechseln können? Warum hatte das Tunnellicht sie ausgerechnet hierher geführt?
    Der Alte lächelte sanft. Er schien schon zufrieden zu sein, dass sie wieder erwacht war. Erst jetzt bemerkte Sascha in seinen Augen ein warmes Glänzen, wie sie es bisher nur von einem einzigen Menschen gekannt hatte. Deshalb also hatte sie sich getäuscht . Nun schämte sie sich vor dem alten Mann.
    »Verzeih mir«, sagte sie. Im nächsten Augenblick fielen ihr wieder die letzten Minuten an der Pawelezkaja ein. Mit einer heftigen Bewegung richtete sie sich auf. »Was ist mit deinem Freund?« Sie schien weder weinen noch lachen zu können. Vielleicht fehlte ihr aber auch einfach die Kraft dazu.
    Glücklicherweise hatten die messerscharfen Krallen der Chimäre das Mädchen verfehlt, die Pranke hatte sie flach getroffen. Doch auch so war sie einen ganzen Tag bewusstlos gewesen. Nun sei ihr Leben außer Gefahr, versicherte der Arzt Homer. Seine eigenen Probleme hatte der Alte ihm verschwiegen.
    Sascha - während ihrer Bewusstlosigkeit hatte sich Homer angewöhnt, sie so zu nennen - sank in sich zusammen und lehnte sich zurück in ihr Kissen.
    Der Alte kehrte an den Tisch zurück, wo ein geöffnetes Notizbuch mit ganzen sechsundneunzig Seiten auf ihn wartete. Er drehte den Stift in seiner Hand und fuhr an der Stelle fort, wo er zuvor unterbrochen hatte, um dem stöhnenden und fiebernden Mädchen beizustehen.
    Doch diesmal verzögerte sich die Rückkehr der Karawane. Und zwar so lange, dass nur ein Schluss möglich war: Etwas Unvorhergesehenes musste

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