Metro 2034
Wachleute ausnutzte.
Artjom sprang auf, klemmte den Hörer mit der Schulter gegen sein Ohr, salutierte und unterbrach - nicht ohne ein gewisses Bedauern - seine Zählung. Der Kommandeur trat an den Dienstplan heran, blickte auf seine Uhr, trug neben dem Datum - 3. November - die Ziffern »9: 22« ein, unterschrieb und wandte sich Artjom zu.
»Melde gehorsamst: Nichts. Ich meine, es geht niemand ran.« »Schweigen?« Der Kommandeur mahlte mit den Kiefern und lockerte knackend seine Halsmuskeln. »Ich kann es einfach nicht glauben.«
»Was?«, fragte Artjom beunruhigt. »Dass es die Dobryninskaja schon erwischt haben soll. Könnte die Seuche schon die Hanse erreicht haben? Kapierst du, was los ist, wenn es die Ringlinie erwischt?«
»Aber wir wissen doch gar nichts Genaues«, erwiderte Artjom unsicher. »Vielleicht hat es ja tatsächlich schon begonnen. Wir haben keinen Kontakt.«
»Und was, wenn die Leitung beschädigt ist?« Der Kommandeur bückte sich und begann mit den Fingern auf den Tisch zu klopfen.
»Aber dann wäre es doch so wie mit der Leitung zur Basis.« Artjom nickte in Richtung des Tunnels, der zur Sewastopolskaja führte. »Die ist komplett tot. Hier kommen wenigstens noch die Klingeltöne. Das heißt, die Technik funktioniert.«
»Nur dass die Basis uns anscheinend nicht mehr braucht«, sagte der Kommandeur ruhig. »Von dort lässt sich niemand mehr vor dem Tor blicken. Vielleicht gibt es ja gar keine Basis mehr. Und auch keine Dobryninskaja. Hör zu, Popow, wenn dort niemand mehr lebt, krepieren auch wir bald, und zwar alle. Niemand wird uns zu Hilfe kommen.
Wozu dann noch die Quarantäne? Vielleicht sollten wir drauf pfeifen, was meinst du?« Wieder bewegten sich seine Kiefer. Artjom erschrak. Was für ketzerische Worte!Unwillkürlich musste er an die Angewohnheit des Kommandeurs denken, Deserteuren zuerst in den Bauch zu schießen, bevor er ihnen ihr Urteil verlas. »Nein, Herr Kommandeur, die Quarantäne ist notwendig.«
»Soso . Heute sind wieder drei krank geworden. Zwei von hier und einer von uns. Und Akopow ist tot.« »Akopow?« Artjom schluckte und schloss die Augen. Sein Mund fühlte sich trocken an.
»Hat sich den Kopf am Gleis eingeschlagen«, fuhr der Kommandeur mit der gleichen ruhigen Stimme fort. »Er meinte, er hält den Schmerz nicht mehr aus. Nicht der erste Fall. Muss schon teuflisch weh tun, wenn man'ne halbe Stunde lang auf den Knien versucht, sich den Schädel zu zertrümmern, was?«
»Jawohl.« Artjom drehte sich der Kopf. »Und bei dir? Übelkeit? Schwächegefühl?«, fragte der Kommandeur besorgt und leuchtete ihm mit einer kleinen Taschenlampe ins Gesicht. »Mach mal den Mund auf. Sag
‚Aaah‘. Fein. Hör mal, Popow, sorg dafür, dass da endlich einer abnimmt. Da muss endlich einer abnehmen, Popow, an der Dobryninskaja, und die sollen dir sagen, dass sie an der Hanse einen Impfstoff haben und dass ihre Sanitätsbrigaden bald hier sein werden. Und dass sie die Gesunden hier rausholen werden. Und die Kranken heilen. Und dass wir nicht ewig in dieser Hölle bleiben werden. Dass wir wieder nach Hause kommen, zu unseren Frauen. Du zu deiner Galja, und ich zu Aljona und Vera. Kapiert?«
»Jawohl.« Artjom nickte verkrampft. »Rühren.«
Sein langes Messer hatte das Gewicht des herabstürzenden Biests nicht ausgehalten und war direkt über dem Griff abgebrochen. Die Klinge war so tief in den Rumpf der Kreatur eingedrungen, dass man erst gar nicht versucht hatte, sie dort wieder herauszuziehen. Der Kahle selbst, dessen ganzer Körper von den Krallen der Bestie durchfurcht war, war schon fast drei Tage bewusstlos.
Sascha konnte ihm nicht helfen, aber sie musste ihn trotzdem sehen. Wenigstens um ihm zu danken, selbst wenn er sie nicht hören konnte. Doch die Ärzte ließen sie nicht zu ihm. Sie sagten, der Verwundete brauche jetzt vor allem Ruhe.
Sie wusste nicht genau, warum der Kahle die Leute auf der Draisine umgebracht hatte. Aber wenn er geschossen hatte, um Sascha zu retten, so war das für sie Rechtfertigung genug. Sie versuchte daran zu glauben, doch es gelang ihr nicht. Wahrscheinlicher war eine andere Erklärung: Anstatt zu bitten, tötete er lieber.
An der Pawelezkaja jedoch war alles ganz anders gewesen: Er war Sascha gefolgt und sogar bereit gewesen für sie zu sterben. Also hatte sie sich doch nicht geirrt. Gab es tatsächlich eine Verbindung zwischen ihnen?
Als er ihr damals, an der Kolomenskaja, nachgerufen hatte, hatte sie eine Kugel erwartet,
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