Metro2033
Boden, und das Gewicht seines Körpers zog die Schlinge zu, sie drückte die Atemwege zusammen, blockierte sie, aus seinem Hals kam ein gurgelndes Krächzen, seine Sicht trübte sich, alles drehte sich in ihm, jede noch so kleine Zelle seines Körpers flehte um ein wenig Luft, aber zu atmen war ihm völlig unmöglich, worauf sein Körper sich zu winden begann, sinnlos, krampfhaft, während sich im Unterbauch ein widerliches Bedürfnis aufbaute ...
In diesem Augenblick hüllte sich die Station plötzlich in giftigen gelben Rauch. Schüsse ertönten aus nächster Nähe.
Dann erlosch Artjoms Bewusstsein.
»He, Galgenmann! Komm schon, stell dich nicht so an. Wir haben deinen Puls, also hör auf zu simulieren!« Eine klatschende Ohrfeige brachte ihn wieder zur Besinnung.
»Ich mache ihm nicht noch mal Mund-zu-Mund-Beatmung«, sagte eine andere Stimme.
Artjom war überzeugt, dass es sich um einen Traum handelte, womöglich jene Sekunde der Bewusstlosigkeit, bevor es zu Ende ging. Der Tod war noch so nah, sein eiserner Griff um den Hals noch genauso spürbar wie in jenem Moment, als seine Beine den Halt verloren und über den Gleisen baumelten.
Die erste Stimme ließ nicht locker. »Lass das Zusammenkneifen, das kommt noch früh genug! Diesmal haben wir deinen Kopf aus der Schlinge gezogen, also genieß das Leben!« Etwas schüttelte ihn heftig. Artjom öffnete zaghaft ein Auge und schloss es gleich wieder. War dies das Jenseits? Ein durchaus menschenähnliches Wesen war über ihn gebeugt, jedoch ein derart ungewöhnliches, dass er sofort an Khans Theorie denken musste - von der Bestimmung der Seele, sobald sie sich vom Körper gelöst hatte. Die Haut des Wesens war mattgelb, was sogar im Licht der Taschenlampe zu erkennen war, und anstelle von Augen hatte es enge Schlitze, als hätte ein Bildhauer ein Gesicht aus Holz geschnitzt, die Augen aber nur angezeichnet und dann vergessen, sie auszuführen. Das Gesicht war rund, mit ausgeprägten Wangenknochen. Artjom hatte so etwas noch nie gesehen.
»Nein, so geht das nicht«, erklärte jemand von oben.
Dann spritzte man ihm Wasser ins Gesicht.
Artjom schluckte krampfhaft und packte die Hand mit der Flasche. Dann, nachdem er lange getrunken hatte, stützte er den Oberkörper auf und blickte sich um.
Er lag auf einer mindestens zwei Meter langen Draisine, die mit schwindelerregendem Tempo einen dunklen Tunnel entlang raste. In der Luft war ein leicht verbrannter Geruch, und Artjom fragte sich erstaunt, ob es sich um ein benzingetriebenes Fahrzeug handelte. Neben ihm saßen vier Männer und ein großer, brauner Hund mit schwarzen Flecken. Der Erste war der mit den schmalen Augen. Daneben saß ein bärtiger Kerl, der eine Ohrenpelzmütze mit aufgenähtem rotem Stern und eine wattierte Jacke trug. An seinem Rücken baumelte ein langes Sturmgewehr ähnlich dem, das Artjom getragen hatte, nur war hier noch ein Bajonett unter dem Lauf befestigt. Der Dritte war ein massiger Kerl, dessen Gesicht Artjom anfangs nicht erkennen konnte, doch als er die dunkle Haut erblickte, wäre er beinahe vor Angst auf die Gleise gesprungen. Erst nachdem er genauer hingesehen hatte, beruhigte er sich etwas: Es war kein Eindringling von oben, der Hautton war ganz anders, und auch das Gesicht war das eines normalen Menschen; nur die Lippen waren etwas nach außen gestülpt und die Nase etwas eingedrückt wie bei einem Boxer. Der Letzte der vier hatte ein relativ gewöhnliches Äußeres. Mit seinem schönen, mutigen Gesicht und dem entschlossenen Kinn erinnerte er Artjom entfernt an das Plakat an der Puschkinskaja. Er trug eine prächtige Lederjacke und Offiziersriemen über der Schulter, und von einem breiten, doppelt gelochten Gürtel hing ein mächtiges Pistolenhalfter. Am Heck der Draisine glänzte ein Degtjarjow-Maschinengewehr, und daneben flackerte eine rote Fahne im Fahrtwind. Als sie zufällig von einer Taschenlampe angeleuchtet wurde, erkannte Artjom, dass es kein richtiges Banner war, sondern nur ein ausgefranster Lappen mit dem rotschwarzen Porträt eines bärtigen Mannes.
All das ähnelte viel mehr einem Fiebertraum als jene Rettungsfantasie, in der Hunter ihm zu Hilfe gekommen und dann davongelaufen war.
»Er ist wach!«, rief der Schlitzäugige erfreut. »Na, Galgenmann, sag, wofür wollten sie dich hängen?«
Der Mann sprach völlig ohne Akzent, seine Aussprache war die gleiche wie die von Artjom und Suchoj. Es war merkwürdig, ein so reines Russisch von einem so ungewöhnlichen
Weitere Kostenlose Bücher