Metro2033
Tage einfach nicht herauskamen. Er musste unbedingt die Polis erreichen! Durch ein Wunder war er gerettet worden, hatte eine weitere Chance erhalten, vielleicht die letzte. Sein ganzer Körper schmerzte, das Atmen fiel ihm schwer, wenn er die Luft zu tief einsog, musste er husten, und ein Auge konnte er noch immer nicht öffnen. Wie gerne wäre er jetzt bei diesen Menschen geblieben! Bei ihnen fühlte er sich viel ruhiger und selbstsicherer, und die dichte Finsternis ringsum war nicht so bedrückend. Das Rascheln und Knarren, das aus dem Erdinneren hervordrang, beunruhigte ihn nicht, und er wünschte sich, diese Rast möge ewig dauern. Obwohl der Tod bereits seine eisernen Klauen um ihn gelegt hatte, war die klebrige Angst, die das Denken und den Körper lähmte, verflogen. Die letzten Reste, die sich unter dem Herzen und im Bauch noch verborgen hatten, hatte Onkel Fjodors höllisches Gebräu ausgebrannt. Mit Fjodor, dem unbekümmerten Bansai, dem ernsthaften Kommissar und dem hünenhaften Maxim-Lumumba fühlte er sich so leicht wie nie zuvor, seit er - vor hundert Jahren - von der WDNCh aufgebrochen war. Nichts von seiner früheren Habe war ihm geblieben. Das Gewehr, fast fünf volle Magazine, sein Pass, Verpflegung, Tee, zwei Taschenlampen - all das befand sich jetzt bei den Faschisten. Er besaß nur noch seine Jacke, die Hose und die Patronenhülse, die ihm der Henker in die Tasche gesteckt hatte. Vielleicht kannst du ihn ja noch brauchen ... Was sollte er nun tun? Hier bleiben, bei den Kämpfern der Internationalen, in Gottes Namen auch Roten Che ... Che ... soundso Brigade? Ihr Leben teilen und das eigene vergessen?
Nein. Das durfte er nicht. Er durfte nicht eine Minute länger hierbleiben, durfte sich nicht ausruhen. Er hatte kein Recht dazu. Dies war nicht mehr sein eigenes Leben. Seit er Hunters Auftrag angenommen hatte, gehörte sein Schicksal nicht mehr ihm. Es war zu spät. Er musste gehen. Es gab keinen anderen Ausweg.
Lange saß er schweigend da und versuchte an nichts zu denken, doch mit jeder Sekunde reifte ein finsterer Entschluss in ihm heran, gar nicht so sehr in seinem Bewusstsein, vielmehr in den müden Gliedern, den gedehnten, schmerzenden Sehnen. Als hätte jemand aus einer Spielzeugpuppe die Sägespäne entfernt und den verbleibenden unförmigen Lappen auf ein steifes Drahtgestell aufgezogen. Er war nicht mehr derselbe, seine frühere Persönlichkeit war in kleinste Teilchen zerfallen, hatte sich wie die Sägespäne verflüchtigt, davongetragen von der Zugluft des Tunnels. Und in die zurückgebliebene Hülle hatte sich jemand anders eingenistet, der das verzweifelte Flehen des geschundenen, blutenden Körpers nicht hören wollte. Jemand, der jeden Wunsch aufzugeben, zu bleiben, sich auszuruhen, tatenlos zu sein, mit eisenbeschlagenem Absatz im Keim zertrat, noch bevor dieser bewusste Gestalt annahm. Dieser andere traf seine Entscheidungen auf der Ebene der Instinkte, der Muskelreflexe, des Rückenmarks, vorbei am Bewusstsein, in dem Stille und Leere herrschten - und auf einmal brach der ewige innere Dialog mitten im Wort ab.
Es war, als löste sich in Artjom eine gespannte Feder. Mit hölzernen Bewegungen stand er auf, so dass der Kommissar ihn verwundert anblickte und Maxim sogar eine Hand auf sein Gewehr legte.
»Genosse Kommissar, können wir ... reden?«, fragte Artjom mit tonloser Stimme.
Jetzt ließ auch Bansai von dem armen Onkel Fjodor ab und drehte sich beunruhigt um.
»Sprechen Sie nur, Genosse Artjom«, erwiderte der Kommissar bedächtig, »ich habe keine Geheimnisse vor meinen Kämpfern.«
»Verstehen Sie ... Ich bin Ihnen allen sehr dankbar, dass Sie mich gerettet haben. Am liebsten würde ich hier bei Ihnen bleiben. Aber ich kann nicht. Ich muss weiter. Es ... muss sein.«
Der Kommissar schwieg.
»Wohin musst du denn?«, fragte Onkel Fjodor.
Artjom kniff die Lippen zusammen und blickte zu Boden. Ein unangenehmes Schweigen breitete sich aus, und es schien ihm, als betrachteten sie ihn nun angespannt und misstrauisch, versuchten seine wahren Absichten zu erkennen. Ein Spion? Ein Verräter? Warum tat er so geheimnisvoll?
»Na gut, wenn du es nicht sagen willst, dann eben nicht«, sagte Onkel Fjodor versöhnlich.
»Zur Polis«, brach es aus Artjom heraus. Trotz allem wollte er nicht das Vertrauen und die Zuneigung dieser Menschen riskieren.
»Geschäfte?«
Artjom nickte schweigend.
»Dringende?«
Wieder nickte Artjom.
»Nun, sieh her, Junge. Wir werden dich nicht
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