Metro2033
Bogen auf den Bahnsteig hinaus. Auf den Gleisen stand eine kleine Bretterbühne auf Rädern, die so gebaut war, dass ihr Boden auf gleicher Höhe war wie der Bahnsteig. Darauf überprüfte ein untersetzter Mann in gefleckter Uniform gerade die Schlinge, die von einem in die Decke geschraubten Haken herabhing. Von den anderen unterschied er sich nur durch die hochgekrempelten Ärmel, aus denen kurze, muskulöse Unterarme hervortraten, und eine Strickmütze mit Augenschlitzen, die er sich über den Kopf gezogen hatte.
»Alles bereit?«, schnarrte die schwarze Uniform.
Der Henker nickte. »Ich mag diese Konstruktion nicht«, sagte er dann. »Warum geht es nicht mit dem guten alten Schemel? Ein Tritt« - er schlug seine Faust in die Hand - »ein Knacksen der Halswirbel, und der Kunde ist abgefertigt. Aber dieses Ding hier ... Bis sie endlich krepieren, zappeln sie rum wie Würmer an der Angel. Und wenn sie dann verrecken, muss man jedes Mal wieder alles putzen. Die machen sich ja immer in die Hose und ...«
»Aufhören!«, rief der Schnauzbärtige. Er zog den Henker beiseite und flüsterte ihm wütend etwas zu.
Kaum war der Offizier außer Hörweite, als die MP-Schützen ein offenbar unterbrochenes Gespräch wieder aufnahmen. »Und, was dann?«, fragte der links von Artjom ungeduldig.
»Naja«, flüsterte der andere. »Ich hab sie an eine Säule gedrückt, bin mit der Hand unter den Rock, und sie ist sofort weich geworden und dann ...«
Weiter kam er nicht, denn der Schnauzbärtige kehrte wieder zurück. Noch immer redete er auf den Scharfrichter ein. »... obwohl es ein Russe war! Er ist ein Verräter, ein Separatist, ein Degenerat! Und Verräter müssen qualvoll sterben.«
Sie nahmen die Fesseln von Artjoms tauben Händen und zogen ihm Jacke und Pullover aus, so dass er nur noch in seinem schmutzigen Unterhemd dastand. Dann riss ihm der Henker die Hülse - Hunters Geschenk - vom Hals und sagte: »Ein Glücksbringer? Na schön, ich steck ihn dir in die Tasche. Vielleicht kannst du ihn ja noch brauchen.« Seine Stimme war gar nicht böse. Eigentlich schnurrte sie sogar auf seltsam beruhigende Weise.
Sie banden Artjom die Hände wieder hinten zusammen und stießen ihn auf den Richtplatz. Die Soldaten blieben nun zurück. Sie wurden nicht mehr gebraucht - er wäre ohnehin unfähig gewesen, wegzulaufen. Ja, er musste all seine Kraft aufbringen, um stehen zu bleiben, während der Henker ihm die Schlinge um den Hals legte und leicht anzog. Stehen bleiben, nicht fallen, schweigen. Trinken. Das war alles, woran er jetzt dachte. Wasser.
»Wasser ...«, flüsterte er heiser.
»Wasser?« Der Henker hob entschuldigend die Arme. »Woher soll ich jetzt bitte Wasser für dich nehmen? Das geht nicht, mein Lieber. Wir beide sind sowieso schon spät dran, also gedulde dich noch ein bisschen.« Er sprang schwer auf die Gleise hinab, spuckte in die Hände und hob ein Seil auf, das an der fahrenden Bühne befestigt war.
Die Soldaten standen stramm, und der Hauptmann machte ein wichtiges, leicht triumphierendes Gesicht. Dann begann er: »Als feindlichen Spion, der sein Volk heimtückisch verraten hat, sich losgesagt hat von ...«
In Artjoms Kopf begannen Gedanken- und Bilderfetzen in rasendem Tempo zu kreisen. Wartet, es ist noch zu früh, ich habe noch nicht, ich muss ... Dann sah er plötzlich Hunters strenges Gesicht vor sich, das sich jedoch gleich wieder im roten Halbdunkel der Station auflöste ... Sanft blickten ihn Suchojs Augen an und erloschen ... Michail Porfirjewitsch ... Du stirbst... Die Schwarzen ... Das dürfen sie nicht ... Wartet! Und über all dem hing der Durst, legte sich über die Erinnerungen, Worte, Wünsche, umhüllte sie wie ein schwüler Dunst. Trinken...
»... ein entartetes Geschöpf, eine Schande für seine Nation ...«
Aus dem Tunnel erklangen plötzlich Schreie, ein MG ratterte, dann ein lauter Knall, und alles wurde still. Die Soldaten griffen nach ihren Sturmgewehren, der Offizier blickte sich unruhig um und schloss eilig ab: »... zum Tode! Los!« Er gab dem Henker ein Handzeichen, worauf dieser ächzend seine Füße gegen die Schwellen stemmte und an dem Seil zog.
Langsam fuhren die Bretter unter Artjoms Beinen weg. Noch hielt er sich, indem er sich bewegte, auf dem Richtplatz, doch dieser fuhr immer weiter, Artjom verlor das Gleichgewicht, das Seil grub sich in seinen Hals und zog ihn nach hinten, in den Tod, aber er wollte nicht dorthin, wollte es einfach nicht ... Dann entglitt ihm der
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