Metro2033
die Draisinen bei ihrer Durchfahrt bei ihm haltmachten, trat er mit würdiger Miene heraus, prüfte ihre Dokumente, manchmal auch die Fracht und hob schließlich die Schranke. Artjom fiel auf, dass alle Grenzer und Zöllner außerordentlich stolz auf ihre Funktion waren. Es war deutlich zu erkennen, dass sie ihre Arbeit liebten.
Man führte sie hinter die Absperrung, von der aus ein Pfad in den Tunnel führte - dort befand sich der Bereich, der ihnen anvertraut war. Langweilige gelbe Kacheln umrahmten die Sickergruben, die stolz von echten WC-Stühlen gekrönt wurden. Man händigte ihnen unbeschreiblich schmutzige Arbeitskleidung aus, Handschaufeln, die mit etwas Furchtbarem überzogen waren, und eine Schubkarre mit einem wild herumeiernden Rad. Ihre Aufgabe war es, eine Lore zu beladen und zu einem in der Nähe gelegenen Stollen zu fahren, der in die Tiefe führte. Das taten sie, umhüllt von einem ungeheueren, unvorstellbaren Gestank, der sich in die Kleidung fraß, jedes Haar von der Wurzel bis zur Spitze durchdrang, ja bis unter die Haut ging, so dass sie glaubten, er sei bereits Teil ihres Wesens. Fortan würde wohl jeder Mensch vor ihnen zurückschrecken und die Flucht ergreifen, noch bevor er sie sah.
Der erste Tag dieser monotonen Arbeit zog sich so langsam dahin, dass Artjom glaubte, sie hätten eine endlose Schicht zugeteilt bekommen. Sie waren verflucht, in einem ewigen Zyklus immer wieder auszuschaufeln, hineinzuwerfen, zu schieben, wieder auszuschaufeln, weiterzuschieben, auszuleeren und zurückzukehren. Die Arbeit schien kein Ende zu nehmen. Immer wieder kamen neue Besucher. Weder diese noch die Wachen, die am Eingang des Raums sowie am Endpunkt ihrer Route, dem Stollen, standen, verhehlten ihren Widerwillen gegenüber den armen Arbeitstieren. Angeekelt blieben sie fernab stehen, hielten sich die Nase zu, oder - etwas taktvoller - holten tief Luft, um in Artjoms oder Marks Nähe nicht einatmen zu müssen. Am Ende des Tages, als die Hände trotz der riesigen Baumwollhandschuhe bis aufs Fleisch wundgerieben waren, glaubte Artjom das wahre Wesen des Menschen sowie den Sinn des Lebens begriffen zu haben: Er sah den Menschen nun als eine komplexe Maschine zur Vernichtung von Lebensmitteln und zur Produktion von Scheiße. Eine Maschine, die fast das ganze Leben lang störungsfrei lief und absolut sinnlos war, sofern man unter »Sinn« ein endgültiges Ziel verstand. Der Prozess war das Ziel: So viel Nahrung wie möglich zu konsumieren, diese zu verarbeiten und dann die Abfallprodukte auszustoßen, alles, was von den dampfenden Schweinekoteletts, den saftig gedünsteten Pilzen und den schmackhaften Teigfladen übrig blieb. Die Menschen, die vorbeikamen, verschwammen für Artjom zu gesichtslosen Maschinen, die nur der Zerstörung des Schönen und Nützlichen dienten, nur Stinkendes und Nutzloses erzeugten. Er wurde wütend auf diese Menschen und verabscheute sie nicht weniger als sie ihn.
Mark hingegen erduldete das alles mit stoischer Miene und versuchte Artjom von Zeit zu Zeit sogar aufzumuntern. »Halb so wild. Man hat mich schon gewarnt, dass es in der Emigration anfangs immer schwierig ist.«
Das Schlimmste war, dass sich weder am ersten noch am zweiten Tag eine Möglichkeit zur Flucht bot. Die Wachen passten gut auf, und obwohl die beiden eigentlich nur an ihrem Stollen vorbei den Tunnel entlang weitergehen mussten, um zur Dobryninskaja zu gelangen, schafften sie es einfach nicht. Sie schliefen in einem Nebenzimmer, das nachts sorgfältig abgesperrt wurde. Und zu jeder Tages- und Nachtzeit war die Glaskabine am Eingang zur Station mit einem Aufseher besetzt.
Der dritte Tag brach an. Und der Vierte. Die Zeit kroch schleimig von Sekunde zu Sekunde, wie ein nicht enden wollender Albtraum. Artjom fand sich bereits mit dem Gedanken ab, dass ihm das Schicksal eines Ausgestoßenen beschieden war. Als habe er aufgehört, Mensch zu sein, und sich in ein unvorstellbar hässliches Geschöpf verwandelt, das die anderen nicht nur als eklig und abstoßend empfanden, sondern zugleich auch als entfernt verwandt, was sie nur noch mehr abschreckte, als könne man sich an der Hässlichkeit dieses Aussätzigen anstecken.
Zuerst schmiedete er noch Fluchtpläne, dann folgte die abgrundtiefe Leere der Verzweiflung, und schließlich war alles nur noch trüber Stumpfsinn. Die Vernunft hatte sich vom Leben zurückgezogen, sich eingeigelt, die dünnen Fäden der Gefühle und Empfindungen eingezogen und sich in einer Ecke
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