Metropolis brennt
um diese Zeit auf der Friedrich-Engels-Allee und dem Elberfelder Neumarkt meterhohe Schneeverwehungen gegeben hat. Die Klimaveränderungen sind nur ein Indiz für die tiefgreifenden Umwälzungen, die die Erde in diesen Tagen erlebt. Über den staubigen Boden vor der langgestreckten Dealerei, die einige zutiefst enttäuschte Lumpenprols anzustecken trachten, trabt Tod auf Pike zu. Seine knochige Gestalt bebt vor Empörung. Aus der rostigen Konservendose, die er in der rechten Hand hält, spritzt Schnaps. Tod merkt es nicht. Er muß tatsächlich stinksauer sein, durchfahrt es Pike.
„Container“, sagt Tod düster, als er Pike erreicht und einen Schluck aus der Dose genommen hat. „Haufenweise Container rollen über die Ausfallstraße auf die Autobahn. Eskortiert von Elektrischen Zöllnern, Robotkoptern und Pinkel-Soldaten. Du weißt, was das bedeutet?“
Pike zuckt die Achseln. „Ich kann es mir vorstellen.“
Die Prols in der Nähe drehen interessiert die Köpfe. Die Meldung über den Auszug der feinen Pinkel verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Schließlich gelingt es den Lumpenprols, Feuer an der Basis der Vorderfront zu entfachen; Qualm steigt über die Dealerei in den wolkenlosen Himmel. Das Kunststoffhaus widersteht den Flammen. Nur der Außenanstrich schmort dahin. Die Lumpenprols schreien sich Verwünschungen zu.
„Keine Dealer mehr“, klagt Tod. Sein bleiches Gesicht wirkt noch knochiger und schmaler als gewöhnlich. „Keine NATO-Konserven. Das Video sendet nicht mehr. Jahwe Muhn und Eses-Winter haben sich als erste aus dem Staub gemacht. Die Katastrophe ist da. Wir alle sind betroffen. Zum ersten Mal vermag ich nachzuempfinden, wie den Jungs oben auf Io in diesem Moment zumute ist.“
Gorch schiebt sich aus der Menge. Er wedelt mit einer angekohlten, eselsohrigen Spiegel -Ausgabe des Jahres 1988. „Schaut, was ich gefunden hab“, ruft Gorch zornig. „Mansch, und jetzt is kein einziger Dealer da, um mir das Zeug gegen Dr. Knöters Moschusdeo einzutauschen. Eine schöne Scheiße, meine Herren!“
„Vielleicht machen die Dealer Urlaub“, ertönt es aus der Menge. „Die Pinkel machen immer Urlaub. Das is ’ne glasklare Pinkel-Tour. Morgen kommen die Dealer wieder, und alles is doppelt so teuer. Jede Wette!“
„Aber die Container …“
„Und was mach ich ohne Pinkel-Schnalle? Da werd ich doch mein Lebtag lang melancholisch sein.“
„Wenn die Pinkel weg sind, schalten die vielleicht die Elektronische Mauer aus.“
„Mänsch!“
„Klar, dann holen wir uns, was wir brauchen.“
„Dann wird der Hang zur Halde.“
„Heißt das, daß der Wohlstand ausbricht?“
„Zeit wird’s.“
„Mit den Containern schleppen die alles fort.“
„Alles?“
Pike wendet sich ab und bahnt sich ihren Weg durch die schwatzende, aufgeregte Menge vor der Dealerei. Weiter hinten, vor den Schaufenstern, in deren Rahmen noch immer Glassplitter haften, hockt die telepathische Ratte auf dem Hinterteil und nagt an einer der Riesenkarotten, wie sie jetzt vor dem Barmer Engels-Haus wachsen. Einige von ihnen überragen sogar Hrdlickas berüchtigte Marmorskulptur. Die telepathische Ratte schnuppert argwöhnisch.
Die Rohstoffversorgung der lokalen Pinkel-Siedlung, ertönt ihre Gedankenstimme in Pikes Kopf, ist durch das Vorrücken der Marodeure im Süden und Westen zusammengebrochen. Die Plutokraten haben Befehl zur Evakuierung nach Flensburg gegeben. Lediglich ein Zeitgewinn. Die historische Entwicklung ist gegen sie. Bald wird keiner mehr von ihnen sprechen.
Pike geht auf die telepathische Ratte zu. Sie ist dick und schwer und noch nicht zu alt. Das Schattenfell glänzt im Mittagslicht. Mißtrauisch läßt die Ratte die Karotte sinken. In
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