Metropolis brennt
ich ja Sie.“
„Ja, das stimmt“, entgegnete Carmody und fragte sich, weshalb die Worte in seinen Ohren einen so unerfreulichen Tonfall hatten.
„Und Sie haben selbstverständlich mich“, fuhr die Stadt fort. „Es handelt sich um eine reziproke Beziehung, und das sind eigentlich die einzigen Beziehungen, die sich lohnen. Aber nun, mein lieber Carmody, würde ich Sie gerne etwas in mir herumführen. Wir können Sie seßhaft machen und regularisieren.“
„Wie bitte?“
„War nicht so gemeint, wie es sich vielleicht angehört hat“, sagte die Stadt. „Es handelte sich einfach um einen unglücklichen wissenschaftlichen Fachausdruck. Aber Sie verstehen doch sicher, daß eine reziproke Beziehung bestimmte Vorschriften für beide Beteiligten nötig macht. Andernfalls könnte sie nicht gut funktionieren, oder?“
„Es sei denn, es handelt sich um eine Laissez-faire -Beziehung.“
„Wir wollen doch versuchen, uns dessen zu entledigen“, ereiferte sich Bellwether. „Wissen Sie, laissez-faire wird sehr leicht zur Doktrin der Emotionen, die unaufhaltsam zur Anomie führt. Wenn Sie mir bitte hierhin folgen würden …“
3
Carmody ging überall hin, wohin er gebeten wurde, und bewunderte die Sehenswürdigkeiten von Bellwether gebührend. Er besuchte das Kraftwerk, das Klärwerk, das Industriegebiet und die Standorte der leichten Industrie. Er besah sich den Kinderspielplatz und die Odd Fellows Hall. Er schlenderte durch ein Museum und eine Kunstgalerie, eine Konzerthalle und ein Theater, eine Kegelbahn, einen Billardsalon, eine Go-Kart-Bahn und ein Kino.
Er wurde schließlich müde und wollte ausruhen, doch die Stadt wollte ihm noch mehr von sich zeigen. Daher mußte Carmody sich auch noch das wuchtige fünfgeschossige American-Express-Gebäude ansehen, gefolgt von der portugiesischen Synagoge, der Statue von Buckminster Fuller, dem Busbahnhof des Greyhound und mehreren anderen Attraktionen.
Schließlich hatte er alles überstanden. Carmody kam zu dem Schluß, daß die Schönheit durch das Auge des Betrachters ging, ein Teil aber auch durch dessen Füße.
„Und nun ein Essen?“ fragte die Stadt.
„Fein“, sagte Carmody.
Er wurde zum piekfeinen Rochambeau Café geführt, wo e r mit pôtage au petit pois begann und mit petits fours endete.
„Wie wäre es zur Krönung mit einem herzhaften Brie?“ wollte die Stadt wissen.
„Nein, danke“, antwortete Carmody. „Ich bin pappsatt. Im Grunde genommen habe ich zuviel gegessen.“
„Aber Käse füllt doch nicht. Ein kleines Stückchen erstklassigen Camembert?“
„Unmöglich.“
„Vielleicht einige erlesene Früchte? Als Nachtisch sehr erfrischend für den Gaumen.“
„Mein Gaumen benötigt gewiß keine Erfrischung“, beharrte Carmody.
„Aber doch wenigstens einen Apfel, eine Birne und einige Träubchen?“
„Nein, danke.“
„Einige Kirschen?“
„Nein, nein, nein!“
„Ohne Früchte ist eine Mahlzeit unvollständig“, sagte die Stadt.
„Meine Mahlzeit schon“, gab Carmody zurück.
„Viele lebenswichtige Vitamine sind nur in frischem Obst enthalten.“
„Dann werde ich eben ohne sie dahinvegetieren müssen.“
„Vielleicht eine halbe Orange, die ich gerne für Sie schä len werde. Zitrusfrüchte enthalten fast gar keine Ballaststoffe.“
„Ich kann aber nicht mehr.“
„Nicht einmal eine Viertelorange? Ich würde auch alle Kerne entfernen.“
„Ganz bestimmt nicht.“
„Mir wäre dann aber besser zumute“, erklärte die Stadt. „Wissen Sie, ich habe einen Komplettierungsdrang. Und ohne Obst ist eine Mahlzeit eben nicht komplett.“
„Nein! Nein! Nein!“
„Schon gut, regen Sie sich doch nicht so auf“, sagte die Stadt. „Ist
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