Metropolis brennt
und ging neben ihr den schmalen Weg zur Straße wieder hinunter. Kurz bevor er die Prozession erreichte, drehte er sich noch einmal um und warf der alten Frau einen nachdenklichen Blick zu.
Die Prozession setzte sich wieder in Bewegung.
Sie verschwand hinter dem Fensterrahmen. Durch die leere Straße wehte eine zerrissene Plastiktüte. Ein rotweißer Ball hüpfte aus einer Toreinfahrt. Mit einem Ruck erwachte die alte Frau aus ihrer Erstarrung. Ihre Blicke fielen auf die weißen Eindrücke, die ihre Zähne im Fleisch ihrer Hände hinterlassen hatten. Sie stand auf, stolperte, rannte aus dem Zimmer. Sie eilte durch das Haus und schloß sämtliche Vorhänge. Nach wenigen Minuten war sie wieder im Wohnzimmer angelangt und zog auch dort die schweren Samtvorhänge zu. Sie schaltete den Bildschirm aus.
Stille und Dunkelheit senkten sich über das Haus.
Sie ließ sich in ihrem Sessel nieder, faltete die Hände auf dem Schoß. Vor ihren Augen flackerte die Dunkelheit. Ihr Mund war trocken und rauh. Langsam beruhigte sich ihr Herzschlag.
Ihr großer Schrank mit gestrickten Erinnerungen, dachte sie. Was hätte man mit ihrem Schrank gemacht, wenn man sie geholt hätte? Hatten Roboter ein Interesse an Wollhandschuhen? Irgendwie war es seltsam, überlegte sie, daß die Maschinenwesen immer kamen, bevor sie einen holten.
Sie schüttelte sich. Bleib ruhig, sagte sie sich. Alles ist vorbei, und nichts ist passiert. Ein Irrtum. Und bald würde ihr junger Freund kommen. Sie konnte schon seine Schritte spüren.
Es klingelte.
Sie erkannte die Stimme, die sie bat, aufzumachen. Mit einem ruhigen Lächeln stolperte sie durch das dunkle Zimmer, griff nach dem Geschenk und verlagerte es in die linke Hand, als sie die Tür öffnete. Sie fühlte etwas in sich, fast wie damals, als ihr Mann noch nach Hause gekommen war: das beruhigende, freudige Gefühl tiefer Geborgenheit.
Sie öffnete die Tür.
Ihr Geschenk prallte leicht auf dem Boden auf.
Der schwarzgekleidete Mann in der Pelzrobe lächelte ihr freundlich zu.
Helmut Krohne
Von Stadt zu Stadt
Er wußte, daß er nicht schlief, und dennoch war er nicht wach. Er wußte, daß er nicht tot war, aber er lebte auch nicht. Er konnte sich nicht bewegen und nicht sprechen, aber fühlen, hören und sehen. Er wußte, daß dies kein Traum war, wie man Träume hat in der Nacht.
Ohne daß er es kontrollieren konnte, bewegte sich sein Körper im schwingenden Rhythmus sanfter imaginärer Ozeanwellen, zumindest hatte er das Gefühl, es wäre so. Über seine Haut huschten kalte Schlangen, die ihn in jeder Sekunde hundertfach mit ihren glühenden, zuckenden Zungen berührten.
Dann glaubte er, unendlich langsam in einen riesigen schwarzen Tunnel, in ein riesiges schwarzes Loch hineinzutaumeln. Am Ende des schwarzen Tunnels leuchtete ein seltsames blaues Licht, das immer größer wurde. Verschwommene Gesichter tauchten dort auf, Gesichter, die er nicht erkannte, aber von denen er wußte, daß er sie kannte. Hin und wieder sprach eine Stimme zu ihm, aber auch die kannte er nicht. Was sie sagte, war gut und richtig, obwohl er nicht verstand, was sie sagte. Die Stimme klang dumpf und tief, fast so, als spräche sie von einem Tonband, das zu langsam abgespielt wurde. Aber was die Stimme sagte, war gut und richtig.
Die Welle des Schmerzes, die ihn im nächsten Augenblick überwältigte, trieb ihn an den Rand des Nichts. Die sanften Wellen des imaginären Ozeans steigerten sich zu einer chaotischen Springflut, sein Körper wand sich in spastischen Zuckungen. Die kalten Schlängen zerrissen mit glühenden Fangzähnen seine Haut und spritzten ihr ätzendes Gift in sein Blut. Das blaue Licht am Ende des unergründlichen Tunnels erlosch, es blieb nichts zurück als bodenlose
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