Metropolis brennt
Bürokraten sind ebenfalls einverstanden – sie allerdings mehr der Form halber und weil sie gar keine andere Wahl mehr hatten. Die Macht geht vom Volke aus – bei uns ist das so.“
„Ihr seid Fühlende, das macht den Unterschied aus. Ihr seid eine Art neue Menschheit, deshalb wäre es traurig, wenn bei euch …“
Er unterbrach sie impulsiv. „Eine neue Menschheit – Unsinn! Wir sind eine sterbende Menschheit. Das Sinnbild der sterbenden Menschheit. Deshalb hassen uns eure Volksvertreter ja. Wir sind Fühlende, das stimmt, und wir sind häßlich, wir sind krank. Durch unsere Existenz wird den regierenden Vordenkern der Stadt der Spiegel vorgehalten … So wird es euch oder euren Kindern auch ergehen. Seht sie euch an, die Krüppel, sie sind euer Werk … Ihr habt die Erde vergiftet – und die Freaks sind das Resultat. Früher oder später werdet auch ihr oder euresgleichen so enden. Und Mirja – glaube ja nicht, daß es eine Gnade Gottes ist zu fühlen. Das ist es nicht. Ich würde bedenkenlos mit jedem Normalen tauschen, wenn ich dafür seinen Körper bekommen würde. Ich …“ Er begriff plötzlich, was er da gesagt hatte, und er schämte sich. Nein, er würde nicht tauschen. Er riß sich zusammen und ging weiter. Der Trotz flammte in ihm hoch und erstarb wieder. Mirja war kein Feind, keine Gegnerin.
Er lächelte und wechselte das Thema. „Silberweiße und schattige Speere wachsen vom Himmel.“ Er sagte es leise, sanft, als er sie wieder an seiner Seite wußte.
Erstaunen spiegelte sich in ihrem Gesicht, dann lächelte sie. „Ich habe die Eiszapfen gemeint.“
Er nickte behutsam und dachte an die Jäger. Mirja und er waren in den letzten Minuten langsamer geworden, zu sehr auf ihre Unterhaltung konzentriert. Ein Fehler.
Die Kälte hatte zugenommen, und sie würde immer schlimmer werden, ihn umhüllen, in ihn eindringen, ihn lähmen, ihn zittern lassen, je länger er ihr ausgesetzt blieb. Er war sie nicht gewohnt, konnte ihr kaum trotzen. Nicht einmal der Prograv konnte das. Vharn bewegte die Finger. Sie fühlten sich klamm und gefühllos an, trotz des Doppelpneum-Anzugs. Die bunten Farben wirbelten und spielten ihr verwirrendes Spiel: Sie flimmerten und tanzten. Eine modische Spielerei.
Mirja ergriff seine Hand und drückte sie zärtlich. „Poet und Träumer und jetzt auch noch ein Radikaler. Eine interessante Mischung.“
„Es ist schlimm mit mir, ich weiß.“ Er erwartete keine Antwort, sondern sprach einen plötzlichen Gedanken aus: „Diese Kälte … Vielleicht haben sie den Winter aus ganz anderen Gründen so bald kommen lassen. Nicht wegen der Produzenten, nicht wegen der Wirtschaftssanktionierung, sondern wegen der bevorstehenden Demonstrationen.
Wenn sie diesen Teil des Waldes abholzen, dann wird es – wie du gesagt hast – Ärger geben, ganz bestimmt. Sogar ohne unseren Provokations-Spaziergang hier. Die Leute lassen sich das nicht gefallen. Man kann die Natur nicht durch Hartplastikbäume ersetzen.“
Die Kälte einsetzen, um die Demonstranten zu Hause zu halten. Der Gedanke setzte sich in seinem Bewußtsein fest.
Mirja sagte: „Sie haben Bakterien gegen Menschen eingesetzt, Atombomben und Neutronenbomben. Weshalb sollten sie davor zurückschrecken, das Wetter für sich zu nutzen? Sie haben die Macht dazu, es gibt eine logische Begründung dafür, es zu tun, also tun sie es.“ Sie hatte offenbar noch nicht daran gedacht, und jetzt ließen sie der Schrecken und der Zorn eisig kalt werden.
Vharn starrte auf die Eiszapfen. Sie waren tatsächlich wie Speere, die vom Himmel wuchsen. Von den kräftigen, knorrigen Ästen einer hohen Tanne hingen sie herunter, zusammengewachsen, blinkend, blitzend – Dutzende. Es gab
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