Meuterei auf der Deutschland
überwiegend Angehörige prädigitaler Generationen, litten unter unbegründeten Ängsten und würden auf irrationale Weise überreagieren. Schließlich wurde beim Bundestag die Online-Petition »Internet – Keine Indizierung und Sperrung von Internetseiten« eingereicht, die mit 134.015 Unterzeichnern die bislang erfolgreichste vergleichbare Initiative der deutschen Geschichte darstellt (Gürbüz 2011, S. 43 f.).
Auch wenn die Piraten damals nur ein Akteur unter vielen waren, gelang es ihnen in dieser Zeit erstmals, sich öffentlich zu profilieren. Je stärker die Debatte von den Gegnern zu einem Kulturkampf zwischen Jung und Alt oder Online und Offline stilisiert wurde, desto mehr konnte die neue Formation von der Unentschlossenheit der Oppositionsparteien profitieren und sich als politischer Arm der Bewegung inszenieren. Die aus Zensursula-Kampagne, Online-Petition und Aktionen der Piratenpartei entstandene politische Dynamik erreichte ihren Höhepunkt im Juni 2009: Zwei Tage nach dem Ablauf der Zeichnungsfrist der E-Petition passierte das Zugangserschwerungsgesetz den Bundestag. Die bis dahin vorwiegend virtuelle Kampagne war offenkundig verpufft. Selbst der Achtungserfolg der Piraten bei der Europawahl (die Partei erreichte immerhin 0,9 Prozent) schien die Große Koalition nicht zu beeindrucken. Daraufhin kam es am 20. Juni 2009 in mehreren deutschen Städten zu Demonstrationen, zeitgleich erklärte der SPD -Abgeordnete und Netzexperte Jörg Tauss seinen Übertritt zu den Piraten (Bieber 2012, S. 28). Die Partei hatte somit nicht nur endlich ein Thema, mit dem sie wahrgenommen wurde, sondern vorrübergehend sogar einen Vertreter im Bundestag.
In dieser günstigen Konstellation fand im Sommer 2009 der Bundestagswahlkampf statt. Gerade angesichts des schwedischen Europawahlergebnisses verspürten die Piraten Rückenwind und traten erstmals auf Bundesebene an, was wesentlich zum organisatorischen Aus- und Aufbau der Partei beitrug (ebd., S. 28). Hatten die Piraten vor der Europawahl gerade einmal 1500 Mitglieder gehabt (was der Größenordnung sektiererischer Parteien wie der MLPD oder BüSo entsprach), übertraf man schon nach der Bundestagswahl mit circa 12 000 Mitgliedern das Niveau von NPD , ÖDP oder Republikanern. Der enorme Zuwachs konnte genutzt werden, um flächendeckend Landesverbände zu gründen und zu festigen, steigende öffentliche Aufmerksamkeit zu wecken und um bei der Bundestagswahl ein Ergebnis von immerhin 2,0 Prozent einzufahren (Niedermayer 2010). Die Wahlkampfsituation kanalisierte das Wachstum der Partei also überaus effektiv: Man konnte politisch auf Sicht fahren, sich von einer Aufgabe zur nächsten vorarbeiten, musste als politische Gruppe zusammenstehen, ohne sich bereits der Herausforderung einer die neuen Mitgliedermassen integrierenden inhaltlichen Debatte stellen zu müssen. Zudem zogen die Piraten aus den flachen Hierarchien und der Offenheit der Parteistrukturen großen Nutzen. Sie veranstalteten einen Mitmach-Wahlkampf, an dem sich neue Mitglieder und Sympathisanten online wie offline umfangreich beteiligen konnten, ja sogar mussten, schließlich verfügte die Partei über nahezu keine konventionellen Ressourcen. Dafür wurden nun dezentral Aktionen geplant, mithilfe von Onlinetools bastelte man kollektiv an Plakaten, Flyern und Texten und entwickelte auffällig originelle Ideen.
Die Parteimitglieder gerieten infolgedessen im Lauf des Sommers in eine Stimmung aufgeregter Betriebsamkeit, die das gegenseitige Kennenlernen beschleunigte und den Zusammenhalt festigte. Aus Sicht der Massenmedien waren die Improvisationen der Neueinsteiger eine willkommene Abwechslung zum klassischen Wahlkampftrott, was sich in einer steigenden Zahl von Berichten niederschlug (ebd., S. 854). Trotz aller Euphorie und großspuriger Spekulationen unterschritten die Piraten die Fünfprozenthürde am Ende zwar recht deutlich, der Wählerzuwachs war gleichwohl beachtlich. Von einer irrelevanten Kleinstpartei hatte man sich in verhältnismäßig kurzer Zeit zur größten Kleinpartei unterhalb der Sperrklausel entwickelt. Ungeachtet dieses Erfolgs schien der rasante Aufstieg der Piraten jedoch mit der Bundestagswahl 2009 beendet zu sein.
Zumindest die mediale Aufmerksamkeit für die Piratenpartei nahm nun rapide ab, und die dritte, durch Stagnation und Konsolidierung gekennzeichnete Entwicklungsphase brach an (Bieber 2012, S. 29). Die Piraten, so schien es zumindest aus der Außenperspektive, wurden von
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