Meuterei auf der Elsinore
dieser an sich schon tödlichen Mischung noch ein bißchen Rattengift. Heute schon gibt es keinen einzigen Vogel mehr in der Luft.
Freilich haben die Meuterer gestern einige gefangen, als ich die Vögel noch mit meinem Stutzen tötete, jetzt aber ist der gesamte Rest dahin, sie bekommen also keine Lebensmittel mehr, ehe sie reumütig an ihre Arbeit zurückkehren. Eigentlich ist es das reine Kinderspiel, und doch kämpfen wir hier auf Tod und Leben. Ich habe soeben ausgerechnet, wie viele Todesfälle seit Beginn unserer Reise erfolgt sind.
Zuerst wurde Christian Jespersen von O’Sullivan getötet, als der verrückte Kerl die Stiefel Andy Fays über Bord werfen wollte. Dann kam die Reihe an O’Sullivan selbst, der den Schlaf des Herrn Charles Davis störte und dem dieser Ehrenmann deshalb mit einem stählernen Maripfriem den Schädel einschlug. Ferner wurde Marinkovitsch ganz zweifellos von der Banditenbande ermordet, als wir mit der Umsegelung von Kap Hoorn begannen – Messerstiche machten seinem Leben ein Ende: wir fanden seine Leiche an Deck und überließen sie den Wellen. Ferner verschied der Kapitän – sein Tod war freilich nicht gewaltsam, aber er starb immerhin, als die gewalttätigen Elemente wüteten und Pike kämpfte, um zu verhindern, daß die Elsinore auf den Legerwall von Kap Hoorn auflief. Ihm folgte Boney, der über Bord gespült wurde, als es uns gelang, der meerumtosten Klippe zu entrinnen, wo die südlichste Spitze des Kontinents sich in das sturmgepeitschte südliche Polarmeer verbeißt. Der junge finnische Zimmerbaas wurde von seinen abergläubischen Kameraden über Bord geworfen, weil sie glaubten, daß er über Wind und Wetter bestimmen könne. Dann kam die Reihe an Mike Cipriani und Bill Quigley, die beide auf der Kampanje niedergeknallt und von Pike mit gewaltigen Fußtritten über Bord befördert wurden. Sie blieben in der See als Futter für die hartschnäbeligen Albatrosse und für die Sturmvögel und die schwarzgefiederten Kaptauben. Steve Roberts, der ehemalige Cowboy, wurde von mir erschossen, als er mich niederknallen wollte. Die Kehle des Schweizers Hermann Lunkenheimer wurde vor unser aller Augen von Bombini durchschnitten. Die beiden Steuermänner Pike und Mellaire haben sich gegenseitig umgebracht; es muß ein Kampf gewesen sein, eines Epos würdig, wenn auch leider keiner dabei war. Ditman Olansen wurde von dem Speer Wadas durchbohrt, als er an der Spitze der Meuterer den Berserker spielte und den Versuch machte, die Kampanje zu entern. Und als letztes Opfer wurde Henry, der Schulschiffsjunge, durch eine Kugel aus der Schachtmündung getötet.
Nein, wenn ich diese Musterungsrolle des Todes durchlese, muß ich gestehen, daß es sich tatsächlich nicht um ein Kinderspiel handelt. Wir unsererseits haben nicht weniger als ein Drittel verloren, und selbst die blutigsten Schlachten der Weltgeschichte weisen selten eine verhältnismäßig so hohe Verlustziffer auf.
Henry war der vierzehnte von uns, der in den dunklen, salzigen Wogen der völligen Auflösung entgegenging. Und noch am selben Tage wurde er gründlich gerächt, denn zwei der Meuterer haben ihm ins Meer folgen müssen. Der Steward lenkte meine Aufmerksamkeit auf etwas, das vorn vor sich ging. Er vergaß einen Augenblick seine Stellung als Diener und legte mir die Hand auf den Arm, während er grimmig nach vorn guckte, wo die Matrosen soeben zwei Leichen über Bord schoben. Da sie Kohlen an den Füßen hatten, versanken sie sofort, ohne daß wir sie erkennen konnten.
»Sie haben vermutlich einen Streit gehabt«, sagte ich. »Es ist sehr gut, daß sie auch mal miteinander kämpfen.«
Aber der alte Chinese lachte nur und schüttelte den Kopf.
»Sie glauben nicht, daß sie sich gerauft haben?« fragte ich.
»Kein Rauferei. Sturmvogel gegessen. Albatros vergiftetes Fleisch gefressen. Zwei Matrosen tot. Viele Männer krank. Verflucht große Freude für mich.«
Ich bin überzeugt, daß er recht hat. Während ich eifrig damit beschäftigt war, den Köder für die Seevögel zurechtzumachen, haben die Meuterer tatsächlich einige gefangen, und zweifellos gerade solche, die die tödlichen Köder gefressen hatten. Wir haben genau aufgepaßt. Nur zwei von der gesamten Mannschaft haben sich seitdem nicht gezeigt, und das sind Bob, der große, überfette und blöde Jüngling, und der Faun. Es scheint, als ob es mir bestimmt war, den unglücklichen Faun töten zu müssen, der immer so eifrig und so fleißig war und stets nur den
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