Mias verlorene Liebe
– sie verhielt sich auch wie eine Fremde. Dennoch konnte er Spuren der „alten“ Mia wahrnehmen – ihre Augen, die geschwungenen Lippen und den verletzlichen Zug um die Mundwinkel.
„Die Polizei ist bestimmt nicht am Besuch eines Stiefbruders bei seiner verschollenen Stiefschwester interessiert.“ Bevor er den Satz beendete, wusste Ethan, dass es ein Fehler war, dies zu erwähnen. Mias Blick wurde geradezu eisig.
„Du bist nicht mein Stiefbruder! Ich hatte mich von meiner Familie längst losgesagt, als mein Vater vor viereinhalb Jahren deine Mutter heiratete. Außerdem war ich nicht verschollen … ich wollte nicht gefunden werden. Und das ist noch heute so!“
„Zu spät!“
„Offensichtlich“, bemerkte Mia sarkastisch.
Ethan wurde klar, dass er unbedingt eine andere Taktik anwenden musste, sonst würden sie über einen verbalen Schlagabtausch nicht hinauskommen. Mia haderte offenbar nach wie vor mit der Vergangenheit – das würde auch ein Gespräch nicht ändern können. Außerdem habe ich mich bis jetzt wirklich nicht sehr geschickt angestellt, gestand er sich ein.
Aber Mias Anblick, wie sie in einer Zeitschrift blätternd in ihrem Café saß – selbstbewusst und in sich ruhend –, hatte ihn vorhin etwas aus der Fassung gebracht. Für einen kurzen Moment war er im Zweifel gewesen, ob er ihre offensichtliche Zufriedenheit wirklich stören sollte.
Er setzte eine zerknirschte Miene auf. „Können wir nicht einfach noch einmal von vorn anfangen?“
„Wo denn genau? In der Zeit, als ich in dem Internat lebte, das deine Mutter leitete? Oder als deine Mutter, die einsame Witwe, eine Affäre mit meinem Vater begann? Oder als du nach deinem Studium ganz zufällig eine Stelle bei Burton Industries angetreten hast – der Firma meines Vaters? Rückblickend betrachtet, eine recht praktische Entwicklung für dich.“
„Du meinst, ich hätte die Stelle bei Burton Industries nur wegen der … Beziehung meiner Mutter zu deinem Vater bekommen? Ich gestehe, ich habe kurz daran gedacht …“
„Davon bin ich überzeugt!“
„… den Gedanken aber sofort wieder verworfen“, beendete Ethan den Satz ungehalten. „Ich sage es jetzt noch einmal, Mia: Zwischen meiner Mutter und deinem Vater gab es keine Affäre, bevor du zu ihr ins Internat gekommen bist. Und ich habe den Job in der Firma auch nicht aufgrund ihrer Freundschaft bekommen.“
„Und ich gestehe noch einmal, dass ich dir nicht glaube.“
„Warum überrascht mich das nicht?“, konterte Ethan trocken.
„Vielleicht weil du immer der Meinung warst, mich leicht durchschauen zu können?“
Ethan seufzte entnervt. „Mia, als ich die Universität verließ, waren die Headhunter wie Bluthunde hinter mir her. Burton Industries konnte sich dazu gratulieren, mich zu bekommen.“
Natürlich gab Mia missmutig zu. Ethans Qualifikation stand nie infrage. Auch sein Ehrgeiz nicht. Was er zu tun bereit war, um seine Ziele zu erreichen, fand sie schon fragwürdiger. Offensichtlich hatte er ja nicht einmal davor zurückgescheut, ihre Unschuld und Naivität auszunutzen.
Damals – vor fünf Jahren – wunderte sie sich zwar darüber, dass jemand wie Ethan Black sich für sie interessierte, gleichzeitig dankte sie ihrem Schöpfer jedoch auch dafür. Ethan Black – die Inkarnation des unwiderstehlichen, umwerfend gut aussehenden Verführers, der nur mit den Fingern zu schnippen brauchte, um jede Frau zu bekommen, die er wollte. Sie selbst mochte die Tochter des Multimillionärs William Burton und seiner wunderschönen Frau Kay sein, aber in den teuren Designersachen, die Kay ihr kaufte, steckte letztlich ein schüchternes Mädchen – recht hübsch, aber keine jener auffallenden Schönheiten, mit denen Ethan sich oft umgab.
Als Mia jedoch von der Affäre ihres Vaters mit Ethans Mutter erfuhr, wurde ihr einiges klar. Grace versuchte es beim Vater, Ethan bei der Tochter – einer von beiden würde schon Erfolg haben.
„Und wir sollten das Kind beim Namen nennen: Diese sogenannte ‚Freundschaft‘ war eine miese kleine Affäre!“
„Ich sage dir doch, dass das nicht stimmt …“
„Ach weißt du, es interessiert mich eigentlich nicht wirklich, Ethan.“
„Weil es dir ganz gelegen kommt, deine verzerrte Sicht der Dinge bestätigt zu bekommen. Wenn du dich auch nur einmal damit beschäftigen würdest, was vor fünf Jahren wirklich passiert ist …“
„Nichts von dem, was ich über deine Situation erfuhr, kam mir damals gelegen! Und schon gar nicht
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