Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
mich nicht mehr zurückhalten und berichtete von der Hochzeit meiner Tochter. Stolz zeigte ich ihr die Fotos, bat sie aber, es nicht herumzuerzählen. Sie war ziemlich erstaunt, das merkte ich wohl. Dann fragte sie mich, warum ausgerechnet ich mit meiner Geschichte für meine eigene Tochter eine Ehe arrangiert hätte. Ich stutzte und antwortete nur knapp: »Weil das bei uns eben so ist.« Es entwickelte sich ein längeres Gespräch, und ich erzählte ihr von der Angst, die mich angetrieben hatte, meine Tochter rasch zu verheiraten. Nämlich, dass Birgül sich vor der Ehe mit einem Jungen einlassen und schwanger werden könnte. Aber so richtig verstanden hat meine Kollegin das nicht. Klar, sie war ja auch eine Deutsche.
Vier Monate nach ihrer Hochzeit ist Birgül wieder in die Türkei geflogen, um ihren Mann zu besuchen. Insgesamt war sie drei Wochen dort, aber anstatt einer strahlenden jungen Ehefrau kam eine unglückliche Birgül zurück. Er habe nie Zeit für sie gehabt, abends seien sie immer nur bei seiner Schwester herumgesessen, und auch sonst war es wohl eher enttäuschend, erzählte sie. »Weißt du, Mama, im Bett ist der eine totale Null. Das macht überhaupt keinen Spaß mit ihm.« Ich versuchte sie zu beruhigen und präsentierte ihr eine Überraschung. Während ihrer Abwesenheit hatte ich nach einer kleinen Wohnung gesucht und tatsächlich eine gefunden. Nicht weit von Birgüls Ausbildungsplatzwürde sie zusammen mit ihrem Mann in drei Monaten einziehen können. Aber meine Tochter war nicht begeistert. Sie sagte: »Ich weiß gar nicht mehr, ob ich das will.« Das hat mich dann doch ziemlich schockiert. Aber ich wusste, dass Birgül ziemlich sprunghaft war. Sicher würde sie ihre Meinung wieder ändern.
Kurze Zeit später bekam ich einen weiteren Dämpfer. Das Ausländeramt lehnte den Antrag auf Familienzusammenführung ab. Grundsätzlich würde man die Ehepartner nachziehen lassen, hieß es, aber nur, wenn neben ausreichendem Wohnraum auch der Lebensunterhalt gesichert sei. Und Birgül als Azubi verdiene nicht genug. Außerdem dürfe der Partner die nächsten zwei Jahre nicht arbeiten. Es klang trocken und hart, als Birgül mir das Amtsdeutsch vorlas. Ich verstand das nicht und ärgerte mich über die Behörden. Aber Birgül schien das nicht viel auszumachen. »Weißt du, Mama«, sagte sie, »vielleicht ist es besser so. Ich liebe U˘gur gar nicht wirklich und will eigentlich gar nicht, dass er hierher kommt.« Mein Schwiegersohn nahm es nicht so leicht. Er schien ziemlich bedrückt, als Birgül ihm am Telefon mitteilte, dass der Antrag abgelehnt worden sei. Er hatte sich darauf eingestellt, innerhalb der nächsten sechs Monate nach Deutschland einzureisen. Ein paar Wochen später stellte sich jedoch heraus, dass er sowieso nicht hätte kommen können, weil er zur Armee eingezogen wurde. Anstatt nach Deutschland ging er mit dem Militär an die türkisch-irakische Grenze.
Birgül ließ das ziemlich kalt. Ich glaube, sie fühlte sich damals schon nicht mehr richtig verheiratet. Sie hatte wieder angefangen, mit jungen Männern herumzuflirten, und oft genug musste ich sie daran erinnern, dass sie eine verheiratete Frau war und fremde Männer sie nichts angingen. Die Abstände, in denen U˘gur anrief, wurden immer größer, so dass ich langsam auch an seiner Ernsthaftigkeit zweifelte. Aber ich vermutete, dass er beim Militär nicht so einfach telefonieren konnte.
Ein halbes Jahr nach Birgüls Hochzeit platzte die Bombe. Birgül hatte ihren Bruder Muhammed getroffen. Birgül erzählte ihm, dass Zoran schon lange nicht mehr bei uns lebte und längst in Kroatien sei. Darüber war Muhammed ganz erstaunt und sagte: »Warum hast du das nicht gleich gesagt, Schwester? Komm, wir gehen zu Mama.«
Birgül rief mich kurz an, um mir Bescheid zu sagen, und erinnerte mich an die Klassenfotos. Ich habe es erst nicht verstanden, aber plötzlich war mir klar, dass sie von ihren Hochzeitsfotos sprach, die wir überall in der Wohnung aufgehängt hatten. Die mussten weg, wenn der Bruder kam. Nervös wartete ich auf die Ankunft meines zweitgeborenen Sohnes. Wie lange hatte ich ihn nicht gesehen? Ein Jahr oder zwei? Ich wusste es nicht. Wie dem auch sei, nun kam er, und das war die Hauptsache.
Dann klingelte es, und meine Tochter stand mit meinem Sohn Muhammed vor der Tür. Ich wollte ihn in den Arm nehmen und zur Begrüßung küssen, aber das ließ er nicht zu. Ali kam aus dem Zimmer gestürmt und begrüßte seinen großen
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