Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
Sohn U˘gur. Er sei zweiundzwanzig Jahre alt und von Beruf Automechaniker. Stolz zeigte sie ein Foto von ihm und schwärmte, was für ein fleißiger Junge er sei. Zu seinem Glück fehle ihm jetzt eigentlich nur noch eine passende Frau. Sie habe sich schon viele Mädchen angeschaut, aber es sei noch keine geeignete dabei gewesen. Und dann strahlte sie Birgül an und ließ keinen Zweifel daran, dass sie meine Tochter für die Richtige hielt.
Als die beiden weg waren, ist Birgül ausgeflippt. »Glaub nur ja nicht, dass ich da mitmache. Ich heirate doch nicht so ein Landei.« Aufgebracht stürmte sie in ihr Zimmer, schmiss die Tür zu und drehte die Musik auf. Ich ließ es erst mal gut sein und sprach nicht mehr davon. Aber Gökcem wollte am nächsten Tag natürlich sofort wissen, wie Birgül reagiert habe. Als ich ihr erzählte, was passiert war, schaute sich mich kurz an und sagte: »Ach, die beruhigt sich schon wieder.« Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Eine Woche später war ich bei Gökcem zum Kaffeetrinken. Birgül rief mich auf dem Handy an und fragte aufgekratzt, wo ich sei. Dann erklärte sie kurz entschlossen, dass sie vorbeikäme. Eine halbe Stunde später war sie da. Und natürlich waren wir ziemlich schnell wieder beim Thema Heirat. Gökcems Tante fragte sie: »Willst du ihn nicht doch kennen lernen? Er ist wirklich ein toller Kerl.«
Birgül dachte eine Weile nach und sagte dann plötzlich: »Ja, ich will ihn kennen lernen!«
Warum sie ihre Meinung geändert hatte, wusste ich nicht, aber ich habe auch nicht nachgefragt. Senem jedenfalls ist am nächsten Tag mit ihrer Nichte ins Reisebüro gegangen und hat drei Flugtickets nach Istanbul gekauft.
Drei Wochen später saßen wir im Flugzeug. Es war alles sehr schnell gegangen, und wir hatten nicht wirklich Zeit zum Nachdenken gehabt. Aber ich dachte bei mir, das werde schon richtig sein. Senem war eine gute Frau und Gökcem auch. Sie waren anständige Leute, da würde auch der Sohn in Ordnung sein. Also, was konnte da schon schief gehen? Zuversichtlich saß ich im Flugzeug zwischen meiner Tochter und meinem Sohn Ali und freute mich auf die Türkei. Wir würden keine Zeit haben, um bei anne vorbeizuschauen. Schade, aber jetzt gab es Wichtigeres zu tun.
Birgül war nervös. Als das Flugzeug in Istanbul landete, hatte sie schweißnasse Hände. Aber ich wusste nicht, ob es ihre Flugangst war oder die Tatsache, dass sie gleich ihrem zukünftigen Bräutigam gegenüberstehen würde. Wir luden unsere Kofferauf eines der Gepäckwägelchen und folgten Senem. Draußen erwartete uns ihr Sohn U˘gur. Wir begrüßten einander, und selbst Birgül, die ziemlich missmutig schaute, bemühte sich um ein freundliches Gesicht. U˘gur lud unser Gepäck in sein Auto, und schon bald waren wir auf der Stadtautobahn. Gökcems Tante wohnte in einer Kleinstadt südlich von Istanbul. Die Fahrt dorthin dauerte fast anderthalb Stunden. Als wir ankamen, war es schon dunkel, und nach dem Abendessen sind wir dann alle drei ziemlich erschöpft ins Bett gefallen. Kurz vorm Einschlafen flüsterte mir Birgül ins Ohr: »Mama, ich glaub, ich mag ihn nicht.« Dann schlief sie ein.
Am nächsten Morgen war U˘gur schon weg. Er hatte wieder zur Arbeit gemusst, erklärte seine Mutter. »Macht nichts«, sagte Birgül fröhlich und zog sich hübsch an. Nach dem Frühstück hat uns Senem dann das Städtchen gezeigt. Wir drei waren sehr ausgelassen und glücklich, wieder in der Türkei zu sein. Ich war seit Jahren nicht mehr hier gewesen und merkte jetzt, wie sehr ich meine Heimat vermisst hatte. Abends kam U˘gur zurück, und wir fuhren zu seiner Schwester, die am anderen Ende der Stadt wohnte. Dort haben wir dann gegessen. Danach führte man Birgül und U˘gur in ein Zimmer und verriegelte die Tür. Während wir weiter am Tisch saßen und uns unterhielten, sollten sich die beiden näher kennen lernen. Ich fand nichts weiter dabei, das war in der Türkei eben so. Das hatte man damals mit Mustafa und mir auch so gemacht. Ich unterhielt mich mit Senem und ihrer Tochter und erfuhr wieder einiges über die Familie. Das gefiel mir alles ganz gut. Ich bekam immer mehr das Gefühl, dass die Entscheidung, Birgül mit U˘gur zu verheiraten, richtig war. Gut, vielleicht hat es auch eine Rolle gespielt, dass ich Angst hatte, Mustafa würde mir wieder zuvorkommen, so wie bei Can. Aber an Mustafa und die Familie wollte ich jetzt nicht denken. Birgüls Glück war allein meine Sache.
Später,
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