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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse
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Ballidere. Das war wieder ziemlich anstrengend, weil die Straßen damals in einem sehr schlechten Zustand waren. Eine Autobahn gab (und gibt es bis heute) nicht. So sind wir über enge Landstraßen den ganzen Weg in mein Heimatdorf gefahren. Es dämmerte schon, als wir endlich ankamen. Das halbe Dorf war auf den Beinen und erwartete uns auf dem Marktplatz. Als ich meine anne mit Can an der Hand entdeckte, waren alle Strapazen der langen Reise vergessen. Selig stürzte ich mich in ihre Arme, und wir begrüßten uns stürmisch. Der Kleine war inzwischen zwei Jahre alt und konnte sogar schon sprechen. Stolz führte sie mir meinen Sohn vor. Dann entdeckte anne Bekir. Sie hatte nicht gewusst, dass er mitkommen würde, und war völlig überrascht. Seit seiner Hochzeit hatte sie ihren Ältesten nicht mehr gesehen.
    Die Eltern hatten harte Zeiten hinter sich, denn Bekirs Hochzeitsfeier hatte sie sehr viel Geld gekostet. Bei meinem großen Bruder ist es anders gelaufen als bei mir. Eine ehemalige Nachbarin hatte Mutter angesprochen und ihr gesagt, dass ihre Tochter Zeynep an Bekir interessiert sei. Die Zuneigung muss gegenseitig gewesen sein, so dass anne Vater von den Heiratsplänen ihres Ältesten berichtete. Aber der blockte zunächst ab. »Geht nicht, wir haben kein Geld«, soll er geknurrt haben. Aber als er erfuhr, wer die Auserwählte war, änderte er seine Meinung. Zeynep und ihre Eltern lebten schon lange in Deutschland, undso würde Bekir auch die Chance erhalten, in das reiche Almanya zu gehen. Doch da war immer noch das Problem mit dem Geld. Denn heiraten konnten nur jene, die es sich auch leisten konnten. Da meine Familie, wie die meisten im Dorf, nur nach dem Verkauf der Tabakernte über Bargeld verfügte, war es schwierig. Der Tabakverkauf zog sich hin, und beinahe wäre die Hochzeit geplatzt.
    Aber inzwischen war der Sohn versprochen, ein Rückzieher nicht mehr möglich. Als Erstes haben sie, so erzählt mir anne , meine Schwiegereltern angeschrieben. Immerhin waren mein Vater und mein Schwiegervater Brüder, und sicher würden sie den armen Verwandten in der Türkei Geld für eine Hochzeit leihen. Aber da hatten sie sich getäuscht. Eine Antwort auf ihre Anfrage ist nie gekommen und natürlich auch kein Geld. Also ist Vater auf die Bank gegangen und hat einen Kredit beantragt. Es müssen ein paar hunderttausend Lira, also ein paar tausend Mark, gewesen sein, die er damals aufnahm. Das war viel Geld für einen anatolischen Kleinbauern, und beim Unterschreiben war ihm sicher klar, dass er viele Jahre brauchen würde, um diese Summe zurückzuzahlen. Und prompt gab es gleich bei der ersten Rate Probleme. Die Tabakernte war immer noch nicht verkauft, und Vater konnte das Geld für die Bank nicht aufbringen. Da ist Bekirs Schwiegermutter eingesprungen. Sie schickte Geld aus Deutschland, so dass die Bank rechtzeitig bezahlt werden konnte. Danach ist es wohl leichter geworden. Die Eltern hatten ja jetzt nur noch ein Kind, meine Schwester Hanife, bei sich, und auch die würde wohl bald verheiratet werden.
    Ich habe die Tage in Ballidere genossen. Die meiste Zeit verbrachte ich bei anne und ließ mir genau berichten, wann Can seine ersten Gehversuche unternommen hatte und wie es war, als er anfing zu sprechen. Es war herrlich, und ich hätte noch ewig bleiben können. Aber die Schwiegereltern und Mustafa wollten weiter. Sie wollten eine Schwester weiter im Landesinneren besuchen, und ich sollte im Dorf bleiben, so war ihr Plan. Dass sie mich nicht dabeihaben wollten, wunderte mich schon. Normalerweiseduldete die Schwiegermutter es nicht, dass ich viel Zeit bei meinen Eltern verbrachte. Ja, sie ging sogar so weit, dass sie mir verbot, meine Mutter anne zu nennen, denn das war sie ja jetzt. Ich wäre gerne noch in Ballidere geblieben, aber meine Schwägerin Zeynep überredete mich mitzufahren. Ich verstand erst nicht warum, bis sie mir erzählte, dass Mutter eine neue Hochzeit plane. Ich brauchte eine Weile, um zu verstehen, was sich hinter meinem Rücken abgespielt hatte. Die Schwiegermutter, enttäuscht darüber, dass wir erst ein Kind hatten und ein zweites nicht kommen wollte, hatte Pläne geschmiedet und für Mustafa eine zweite Frau gesucht – Semra, eine Tochter ihrer Schwester.
    Ja, es stimmt, einem Muslim ist es erlaubt, drei bis vier Frauen zu haben. Aber doch nur, wenn er es sich leisten kann. Und was Mustafa betraf, so konnte er sich noch nicht einmal eine Frau leisten. Er hatte damals keine feste

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