Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
keine Chance. Ich würde bleiben.
Das Leben mit zwei Kindern wurde nicht einfacher. Can war inzwischen drei Jahre alt und blieb den Vormittag über bei Mutter . Das Baby allerdings, das wollte sie nicht haben. Es sei zu viel Arbeit. Was nun? Nach sechs Wochen Mutterschutz musste ich wieder zurück an meinen Arbeitsplatz. Mit Mustafa war nicht zu rechnen. Er schlug sich nach wie vor mit irgendwelchen Jobs durch und lungerte dann wieder wochenlang zu Hause herum. Aber ein Baby konnte man ihm nicht anvertrauen. Ich habe auf Mutter eingeredet, gebettelt, immer wieder, bis sie endlich nachgab und sich bereit erklärte, auch auf den Säugling aufzupassen. Für mich war das ideal. Vormittags war ich in der Fabrik, und nachmittags hatte ich beide Kinder bei mir.
Eines Tages, es muss im November gewesen sein, kam ich nach Hause, und Mutter war nicht da. >Komisch‹, dachte ich, >sie ist doch sonst immer hier.‹ Aber heute war nur der Schwiegervater da. Er, der kleine Can und einer meiner Schwager saßen beim Fernsehen. Nachdem ich ihn begrüßt hatte, erkundigte ich mich nach Mutter . Da sagte er beiläufig: »Ach, hat sie dir das nicht gesagt? Sie bringt den kleinen Muhammed nach Istanbul. Jetzt müssten sie eigentlich schon da sein.«
Ich starrte ihn fassungslos an und fing an zu schreien und zu weinen. Sie hatte mein Baby weggebracht, war mit ihm einfach in die Türkei geflogen, ohne mich zu fragen, ohne es mit mir abzusprechen! Ich brach zusammen. Als Mustafa abends nach Hause kam, fauchte er mich an. Ich solle mich nicht so anstellen, das Baby sei doch im Weg gewesen. Ich hätte nicht auf den Kleinen aufpassen können, und Mutter sei das nicht mehr zuzumuten. Er hatte es also gewusst und mir nichts gesagt. An diesem Abend fühlte ich mich betrogen und verraten wie noch nie in meinem Leben. Es vergingen drei Jahre, bis ich meinen kleinen Sohn Muhammed wieder sah. Aber das ist eine andere Geschichte.
Erste Gehversuche
Wenige Monate nach Muhammeds Geburt stellte der Arzt bei einer Nachsorgeuntersuchung eine neue Schwangerschaft fest. Wie konnte das sein? Jahrelang war ich nicht schwanger geworden und jetzt gleich nach der Geburt schon wieder. Aber dieses Kind wollte ich nicht. Da war ich mir ganz sicher. Mutter war gegen eine Abtreibung. Sie wollte unbedingt, dass ich auch dieses Kind austrage. »Ein Türke braucht viele Kinder«, so waren ihre Worte. Aber wer auf das Baby aufpassen würde, das sagte sie nicht. Wäre es mit ihr nicht so schwierig gewesen, dann hätte ich es mir vielleicht überlegt. Aber so? Nein, ein weiteres Kind kam nicht in Frage. Inzwischen kannte ich mich in Deutschland auch ein bisschen aus bzw. hatte ein paar türkische Freundinnen, die mir weiterhalfen. Hatice wusste von einer Stelle in der Stadt, wo man hingehen konnte. Ich sprach mit Mustafa, und zusammen sind wir dorthin gegangen. Mutter wusste nichts davon. Ich wollte nicht mehr mit ihr darüber sprechen. Das war einzig und allein unsere Sache.
Bei dieser Beratungsstelle, ich glaube, es war eine kirchliche Stelle, hat man versucht, mich zu überreden. Sie sagten mir, ich würde jeden Monat an die 250 DM bekommen, wenn ich das Baby behielte. Aber wie lange würden die zahlen? Ein Jahr, zwei Jahre? Und was wäre danach? Mustafa hätte sich darauf eingelassen. Klar, er kümmerte sich auch nicht um die Kinder. Er sah nur das Geld. Aber wie sollte ich das machen? Ich musste doch arbeiten, und Mutter würde ganz sicher nicht auf das Kind aufpassen, das hatte sie mehrmals gesagt. Ich konnte froh sein, dass sie Can übernommen hatte. Nein! Mein Entschluss stand fest. Nachdem ich eine Bescheinigung zum Schwangerschaftsabbruchbekommen hatte, machte ich sofort einen Termin in einer kleinen Klinik. Eine Woche später bin ich morgens hingefahren und war nachmittags bereits wieder zu Hause. Der Fall war erledigt, ich war nicht mehr schwanger.
Damals war ich schwer angeschlagen. Die Geburt, das Baby, die neue Schwangerschaft, die Abtreibung, und dann war auch noch Muhammed weg. Ich war am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Es war eine schlimme Zeit. Aber irgendwie musste es ja weitergehen. Nachdem ich mich damit abgefunden hatte, dass auch mein zweiter Sohn für einige Zeit in der Türkei bleiben würde, ging es mir langsam wieder besser. Immerhin hatte ich ja noch Can und meine Arbeit. Dann, eines Tages, hat der Schwiegervater mir ein Fahrrad besorgt. Was für eine Freude! Sie hat natürlich sofort gelästert und gesagt: »Was soll die denn mit einem
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