Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
Arbeitsstelle und verdiente nur hin und wieder Geld. Ich war diejenige von uns beiden, die das Geld nach Hause brachte. Das schien die Schwiegermutter jedoch nicht zu stören, sie hatte sich in den Kopf gesetzt, eine neue Schwiegertochter zu finden, und es war ihr offensichtlich gelungen. Ich war wütend. Nicht, weil ich meinen Mann noch liebte. Nein, er war mir egal, aber was würde mit Can passieren? Ich packte also den Stier bei den Hörnern und fragte ihn, wie er sich das vorstelle mit der anderen Frau.
Da sagte er: »Das ist doch einfach, du bleibst hier in der Türkei, und Semra und der Junge kommen mit mir nach München.«
Ja, so hatten sich das Mutter und Sohn zurechtgelegt. Ich wusste von einer Cousine, dass eine türkische Frau im Falle einer Scheidung keine Chance hat, ihre Kinder zu bekommen. Sie werden immer dem Mann zugesprochen, egal was in der Ehe vorgefallen ist. Aber konnte ich Can aufgeben? Das kam für mich nicht in Frage. Also erklärte ich Mustafa, dass er seine Semra ruhig mit nach Deutschland nehmen könne, aber dass ich auch mitfahren und auf keinen Fall hier in der Türkei bleiben würde. Schließlich hätte ich dort meine Arbeit und sei nicht bereit, dieaufzugeben. Ich würde mich auch nicht scheiden lassen – Zweitfrau hin oder her. Genervt und wütend kamen wir bei den Verwandten an.
Semra war eine hübsche Person, aber sie war viel älter als Mustafa. Bestimmt war sie über dreißig, bemerkte ich mit Genugtuung. Freudig begrüßte sie meine Schwiegereltern und Mustafa, mich nahm sie nur am Rande zur Kenntnis. Meinen Mann erkannte ich kaum wieder. Er lief zu Höchstformen auf, turtelte, hielt Händchen und war wie ausgewechselt. Höflich, zuvorkommend und liebenswürdig. Er führte Semra aus, zum Essen, ins Kino. Ich dagegen blieb zu Hause mit unserem Sohn. In den vier Jahre Ehe hatte ich noch nie ein Kino von innen gesehen. Aber er war ja jetzt auf Brautschau. Doch das Glück währte nicht lange. Nach zwei Tagen hatte er Farbe bekennen müssen und ihr gesagt, dass ich mit einer Scheidung nicht einverstanden sei und sie nur die Zweitfrau werden könne. Das aber wollte Semra nicht. Sie entschied sich gegen Mustafa und blieb in ihrem Dorf. Wir reisten ab und fuhren mit Can über Istanbul zurück nach Deutschland.
Die Schwiegermutter war wütend. Noch Wochen danach ließ sie mich spüren, dass ich das Allerletzte war. Aber ich wusste innerlich, dass ich das Richtige getan hatte. Mustafa liebte ich zwar nicht mehr, aber ohne meinen Sohn konnte ich nicht leben. Drei Monate später war ich wieder schwanger. Ohne eine Regung nahm meine Schwiegermutter die Nachricht auf. An ihrer Haltung mir gegenüber änderte sich nichts. Für sie war und blieb ich die Nutte .
Die zweite Schwangerschaft machte mir zu schaffen. Besonders am Anfang. Wieder war mir ständig schlecht. Dann kam der Brand. In meiner Firma war eines Nachts Feuer ausgebrochen. Als ich zur Frühschicht kam, war der Brand zwar gelöscht, aber alle Maschinen mussten gereinigt werden. Ich konnte das nicht, weil mir sowieso ständig übel war. Also bin ich zum Schichtführer gegangen und habe ihm mitgeteilt, dass ich schwanger seiund diese Arbeit auf keinen Fall machen könne. Er hat mich dann für den Tag heimgeschickt. Ich weiß noch, wie ich mich nach Hause schlich, in unser kleines Apartment. Mustafa hatte zur Abwechslung mal wieder einen Job, war also nicht da. So konnte ich mich ins Bett legen und einfach schlafen. Es war herrlich. Nachmittags um halb drei ging ich dann in die andere Wohnung zu Mutter und tat so, als sei ich gerade aus der Arbeit gekommen. Ich erzählte ihr von dem Feuer und der ganzen Aufregung in der Firma. Aber sie interessierte das nicht wirklich. Sie saß an ihrer Heimarbeit und erwartete, dass auch ich endlich damit anfing.
Im Mai 1982 kam mein zweites Kind zur Welt. Es war wieder ein Sohn, wir nannten ihn Muhammed. Die Geburt war diesmal einfacher gewesen. Zur Entbindung bin ich ins gleiche Kreiskrankenhaus gegangen, aber im Unterschied zu damals verstand ich jetzt Deutsch und konnte mich mit den Schwestern und der Hebamme verständigen. Insgesamt war die Geburt nicht so schwierig gewesen, und schon nach drei Tagen durfte ich wieder nach Hause. Mutter war indes höchst erbost. Sie wollte dieses Kind nicht. Warum, weiß ich nicht. Vielleicht weil es ihre Pläne, Mustafa neu zu verheiraten, durchkreuzte. Dann wäre sie mich ein für alle Mal los gewesen. Aber jetzt, mit dem zweiten Sohn, hatte sie
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