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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ayse
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wartete schon, und ich ahnte, was jetzt kommen würde. Zusammen gingen wir in unsere Wohnung. Aber dort musste ich erst einmal das Chaos beseitigen. Mein Mann, der die Angewohnheit hatte, alles, was er auszog, fallen zu lassen, hatte in den zwei Wochen meiner Abwesenheit kein einziges Stück Wäsche aufgehoben. Als ich mit Aufräumen fertig war, setzte ich mich müde aufs Sofa und kämpfte mit den Tränen. Mustafa, der weder meine Müdigkeit noch meine Trauer verstand, riss mich hoch und schimpfte: »Na, was ist, oruspu ? Was hast du Nutte, warum heulst du?« Dann nahm er mich. Er hat sich nicht mal die Zeit zum Ausziehen genommen. Er riss mir die Unterhose herunter, öffnete seinen Hosenschlitz und drang in mich ein. Nachdem er bekommen hatte, was er wollte, ging er. Vermutlich traf er sich mit irgendwelchen Freunden. Weinend legte ich mich aufs Bett und schlief ein.
    Mein einziges Glück war inzwischen die Arbeit in der Fabrik. Obwohl die Arbeit anstrengend war, freute ich mich, meine Arbeitskolleginnen wieder zu sehen. Besonders mit einer Kollegin hatte ich mich angefreundet. Ihr Name war Hatice. Sie war schonzwanzig, also vier Jahre älter als ich. Auch sie hatte man vor ein paar Jahren aus der Türkei hierher geholt und mit einem Deutschtürken verheiratet. Auch sie war die Arbeitssklavin ihrer Schwiegermutter und ihres Mannes. Während meine mich mit Heimarbeit traktierte, musste meine Freundin Hatice nach Fabrikschluss putzen gehen. Geld hat auch sie nie gesehen. Wir hatten ja beide einen Job in der gleichen Firma, arbeiteten damals 42 Stunden in der Woche, aber wie viel wir verdienten, wussten wir nicht. Mein Lohn ging auf das Konto bei einer Bank, die ich nur von außen kannte. Als ich anfing zu arbeiten, nahm die Schwiegermutter mich mit, und wir eröffneten gemeinsam ein Konto. Damals hatte ich ihr eine Vollmacht gegeben. Seither war ich nie wieder bei dieser Bank gewesen. Sie hatte mir verboten, dorthin zu gehen und Geld abzuheben. Bei meiner Freundin Hatice war es noch krasser. Das Geld, das sie beim Putzen verdiente, holte ihr Mann persönlich ab. Ja, wirklich. Einmal im Monat ist er bei ihren Putzstellen vorbeigefahren und hat kassiert. Das war fast so wie bei einer oruspu . Aber Nutten kassieren wenigstens selber, auch wenn sie das Geld dann bei ihrem Zuhälter abgeben müssen.
    Von Gelddingen hatte ich in den ersten Jahren hier in Deutschland überhaupt keine Ahnung. Ich wusste nicht, was das Leben kostet, wie viel Miete man bezahlte, was man für Lebensmittel rechnen musste, was Kleidung kostete. Ich wusste gar nichts. Das Geld hat bei uns Mutter verwaltet, alles lief bei ihr zusammen: Mein Lohn, der vom Schwiegervater, das Geld für unsere Heimarbeit und das, was Mustafa verdiente. Der hatte seine Lehre inzwischen abgebrochen und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Aber oft hat er auch gar nicht gearbeitet. Brauchte er auch nicht, schließlich verdiente ich ja für zwei. Unfair war nur, dass ich selbst nie einen Pfennig bekam. Nicht einmal Taschengeld hat Mutter mir gegeben. Ich brauchte kein Geld, so war ihre Meinung. Ich ging ja nie alleine aus dem Haus. Wenn ich überhaupt herauskam, dann höchstens mit der Familie, um irgendwelche Verwandte oder Freunde zu besuchen.
    Erst Jahre später habe ich erfahren, dass Mutter damals im Monat über etwa 12000 DM verfügte. So viel verdienten wir alle zusammen. Davon musste sie die Miete bezahlen, aber das machte sicher nicht mehr als 500, 600 DM aus. Dazu kam noch ein bisschen was für Strom, Heizung und die Müllabfuhr. Für Essen, Kleidung, Medikamente und Sonstiges hat sie zu der Zeit aber bestimmt nicht mehr als 1500 DM ausgegeben. Da bin ich ziemlich sicher, weil sie uns, ihre achtköpfige Familie, extrem kurz gehalten hat. Jedenfalls hat sie an die 10000 DM in die Türkei überwiesen, und zwar jeden Monat. Aber, wie gesagt, das wusste ich zu der Zeit nicht.
    Ich hätte allerdings sowieso nichts unternommen, selbst wenn ich es gewusst hätte. Wir Türken werden so erzogen: Die Älteren kennen das Leben und wissen, was zu tun ist. Sie können deshalb über uns, die Jungen, verfügen. Und wir müssen ihnen Respekt entgegenbringen. So einfach ist das. An diesem Prinzip habe ich lange nicht gezweifelt. Sie war fast wie meine Mutter und sorgte für mich. Gut, sie schikanierte mich und setzte mich ständig unter Druck. Aber war sie nicht wie alle Schwiegermütter? Sie hielt die Fäden meines Lebens in der Hand, und zwar alle.

Semra
    Ich lebte jetzt

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