Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
aufgeregt, als der Bus endlich in unserem Dorf hielt. Von der langen Fahrt völlig übermüdet, stieg ich mit wackligen Beinen aus. Da lagen wir, meine anne und ich, uns auch schon in den Armen. Wir lachten und weinten zugleich. Immer wieder schob meine geliebte Mutter mich von sich und bestaunte mich von oben bis unten: Ja, das war ihre Ayşe . Schließlich registrierte sie auch meinen Schwiegervater und den Kleinen. Er begrüßte sie und legte ihr Can in den Arm. Als sie ihren kleinen Enkel sah, liefen ihr wieder die Tränen über das Gesicht. Auch Can fing an zu weinen, als er seine Großmutter das erste Mal sah. Ich hatte inzwischen meinen Vater und die kleine Schwester begrüßt. In diesem Augenblick freute ich mich sogar, ihn wieder zu sehen.
Auf dem Weg nach Hause kamen die Nachbarn aus ihren Häusern und begrüßten uns. Jeder einzelne brachte mein Herz zum Klingen – endlich war ich wieder daheim. Wie hatte ich sie alle vermisst. Meine anne hatte mein Lieblingsessen vorbereitet, Weinblätter mit Bulgur. Aber ich konnte vor lauter Aufregung kaum essen. Nach und nach kamen alle Freunde, um uns zu begrüßen. Die Küche füllte sich, und wir alle saßen auf dem Boden, aßen und feierten meine Heimkehr.
Die nächsten zwei Wochen vergingen wie im Flug. Meine anne war natürlich hocherfreut, als ich ihr sagte, dass ich meinen Sohn gerne bei ihr in der Türkei lassen würde. Sie hatte volles Verständnis für meine Situation, und ich wusste, dass er bei ihr gutaufgehoben sein würde. Außerdem gab es ja noch meine kleine Schwester Hanife, die auf Can aufpassen konnte, weil Mutter immer noch sehr hart arbeiten musste. Inzwischen hatte auch mein Bruder unser Dorf verlassen und fiel als Arbeitskraft aus. Er hatte geheiratet und war ebenfalls nach Deutschland gegangen. Seit einem knappen Jahr lebte er bei seinen Schwiegereltern in der Nähe von Hamburg. Anne und ich erzählten uns alles, was in den vergangenen zwei Jahren passiert war. Nur, wie es mir mit Mustafa und der Schwiegermutter ging, berichtete ich ihr nicht. Damals dachte ich wohl, dass noch alles gut werden würde – irgendwann.
Als es Zeit zum Abschied Nehmen wurde, brach mir schier das Herz. Anne wieder zu verlassen fiel mir ungeheuer schwer. Mein einziger Trost war, dass Can bei ihr sein würde. Sie wäre nicht so allein. Aber was war mit mir? Wer würde mich trösten, mich in den Arm nehmen? Ich ließ meiner Mutter noch ein bisschen Geld da, aber viel war es nicht, weil ich selbst keines hatte. Der Schwiegervater hatte die Reisekosten übernommen, auch meinen Rückflug nach München hatte er bezahlt. Und bei unserer Ankunft in Ballidere hatte er mir hundert Lira in die Hand gedrückt, das waren damals etwa zwanzig Mark. Allein bestieg ich also den Bus nach Istanbul. Mein Schwiegervater hatte noch länger Urlaub und wollte noch ein paar Wochen bleiben. Von der Busfahrt habe ich nichts mitbekommen, weil ich in Gedanken bei meinem Sohn und meiner anne war. Ich wusste nicht, wann ich die beiden wieder sehen würde, schwor mir aber, diesmal nicht wieder zwei Jahre vergehen zu lassen.
Als das Flugzeug in München-Riem landete, war mein Herz schwer. Was würde mich erwarten? Mustafa holte mich vom Flughafen ab. Ob er sich freute? Ich wusste es nicht, gelacht hat er jedenfalls nicht, als er mich sah. Er begrüßte mich kurz, nahm mein Gepäck, und schweigend fuhren wir mit der S-Bahn nach Hause. Diesmal war alles anders. Ich kannte den Weg, nichts mehr war neu für mich. Während mir damals alles in buntenFarben entgegenstrahlte, wirkte es jetzt eintönig, fast grau. Das lag nicht nur am Regen, der gerade fiel. Zu Hause empfing mich die Schwiegermutter – ebenfalls ziemlich frostig. Schweigend nahm sie die Geschenke von anne in Empfang. Die hatte mir selbst gemachte Nudeln, Bohnen, Bulgur und eingelegte Gurken und Tomaten für die Meinen mitgegeben. »Was soll ich denn damit?«, fragte sie verächtlich. Dann nahm sie die Tüten und warf sie achtlos in den Mülleimer. Entsetzt und mit Tränen in den Augen wandte ich mich ab. Warum machte sie das? Sie wusste doch, wie hart anne dafür hatte arbeiten müssen.
Zum Abendessen gab es Fleisch mit Bohnen. Ich brachte kaum einen Bissen herunter, hatte Herzstechen und schreckliches Heimweh. Jetzt vermisste ich nicht nur meine anne , sondern auch meinen Sohn. An diesem Abend musste ich nicht abwaschen und aufräumen. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, entließ mich Mutter heute ungewöhnlich früh. Mustafa
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