Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
fliehen. Aber er war schneller, bekam mich an den Haaren zu fassen, zerrte mich zu Boden und schlug wieder auf mich ein. Mit allerletzter Kraft konnte ich aufstehen und mich ihm entwinden. Dann bin ich – so schnell ich konnte – losgelaufen. Nur weg, weg von ihm und seiner Wut.
Nach dieser Szene konnte ich nicht einfach nach Hause gehen und mich aufs Sofa setzen. Ich brauchte Luft, ich musste nachdenken. Also beschloss ich, einen Spaziergang in den nahen Wald zu machen. Während ich lief, flossen mir die Tränen ungebremst. Ich war völlig aufgelöst. Wie sollte ich mit diesem Mann noch ein Kind bekommen? Drei waren doch wirklich genug! Als ich mich wieder beruhigt hatte, machte ich mich auf den Heimweg. Mustafa wartete schon. Er war immer noch wütend und wollte wieder auf mich einschlagen. Da fing ich laut an zu weinen und zu schreien: »Mustafa, ich kann nicht mehr. Nie hast du ein gutes Wort für mich. Seit Jahren schlägst du mich, vergewaltigst mich. Nie habe ich mich gewehrt, aber jetzt kann ich nicht mehr, will ich nicht mehr.«
Ich weiß nicht, ob ihn meine Reaktion überraschte. Jedenfalls hat er aufgehört, auf mich einzuschlagen. Dafür ist er wütend aus dem Haus gelaufen.
In der Zeit hatten wir auch die Kündigung bekommen. Wir wohnten das vierte Jahr in dem baufälligen Haus, jetzt sollte es abgerissen werden. Der Vermieter wollte unbedingt, dass wir ausziehen. Zeitweise gab es keinen Strom mehr, kein Wasser.
Aber wo sollten wir eine neue Wohnung finden? Wir hatten drei Kinder, ein viertes war unterwegs. Wir konnte nicht viel Miete bezahlen. Schon seit Monaten war ich auf der Suche, bin immer wieder bei der Gemeinde gewesen, um eine kommunale Wohnung zu bekommen. Aber die waren knapp.
Mustafa war wegen meiner Abtreibungspläne immer noch erbost. Er sprach nicht mehr mit mir und kam abends immer später nach Hause. Ich fühlte mich allein und verlassen. Zum Reden hatte ich niemanden. Meine Schwägerin war inzwischen aus Istanbul zurück, schwanger war sie nicht mehr. Mein Bauch dagegen war bald nicht mehr zu verheimlichen. In meiner Verzweiflung kaufte ich mir eine riesengroße Wassermelone und haute sie mir immer wieder auf den Bauch. Aber es war zu spät! Ich war im vierten Monat und würde auch dieses Kind bekommen müssen. Dann kam die Räumungsklage. Da ich nicht lesen konnte, verstand ich natürlich nicht gleich, was das Schreiben bedeutete. Erst als meine Schwiegermutter mir den Brief vorlas, wurde mir klar, was passieren würde. Ich war am Ende mit meinen Nerven und fing verzweifelt an zu weinen. Wo sollten wir denn nun hin? Wieder bei ihr einziehen? Ich wusste es nicht. Und Mustafa schien das alles nicht zu interessieren. Er ging morgens zur Arbeit und kam spät abends wieder. Doch einen Tag vor der Räumung geschah ein Wunder. Die Gemeindeverwaltung rief an und bot mir eine geräumige Fünf-Zimmer-Wohnung an. Sie würde demnächst frei werden, und wir könnten einziehen. Mit dieser guten Nachricht lief ich zu unserem Vermieter und bat ihn um Aufschub, damit wir in der Zwischenzeit nicht auf der Straße saßen.
Noch am gleichen Tag unterschrieb ich den Vertrag. Hundert Quadratmeter, vier Zimmer, mitten im Ort. Sehr groß, sehr komfortabel, aber leider auch sehr teuer. 1400 DM sollte sie kosten. Das war viel Geld für uns, aber wir hatten keine andere Wahl. Finanziell waren wir immer noch in einer angespannten Situation, und es würde noch Jahre dauern, bis alles zurückbezahlt war. Mustafa hatte seine Stelle schon wieder gekündigt undsaß die meiste Zeit nur zu Hause herum. Und ich? Ich hatte zwar eine Stelle, aber ich war schwanger und würde bald nicht mehr so viel arbeiten können. In meiner Verzweiflung habe ich mich – wieder einmal – um Heimarbeit beworben. Aber dort hatte man mich abgewiesen. Es gebe zurzeit nichts zu tun. Das war bitter. Wie sollte ich die Familie durchbringen? Was sollten wir essen?
Ich redete auf Mustafa ein, sich endlich wieder eine feste Stelle zu suchen. Aber davon wollte er nichts wissen. Wie immer wurde er wütend und schrie mich an: »Ich kann in keiner Firma arbeiten, verstehst du das nicht?«
»Aber Lastwagen fahren kannst du auch nicht!«, konterte ich. Das hätte ich wohl besser nicht sagen sollen, denn sofort schlug er wieder zu. Wahrscheinlich hätte er weiter auf mich eingeprügelt, aber da muss ihm wohl das Kind im Bauch eingefallen sein, und er ließ von mir ab.
Drei Monate vor der Geburt des Kindes sind wir umgezogen. Unsere neue
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