Michael - der Beschützer
nachdem Lorelei den Garten verlassen hatte, klingelte das Telefon. Michael griff nach dem schnurlosen Handgerät, das er ins Freie mitgenommen hatte, und meldete sich nach dem zweiten Signalton.
“Ja?”
“Hey, Mike, wie läuft es bei euch?”
“Du würdest mir kein Wort glauben.” Doch dann erinnerte Michael sich daran, wie verliebt Shayne seine Bliss ständig betrachtete und wie er sich nach ihr sehnte, wenn sie auf einer Einkaufstour die Stadt verließ. Vermutlich würde sein Bruder ihn doch verstehen.
“Vielleicht würde ich dir sogar sehr viel glauben”, erwiderte Shayne heiter, als habe er Michaels Gedanken erraten. “Ich störe nur ungern deinen freien Tag mit Lorelei, aber für heute Abend wird eine Gewitterfront mit Sturm und Regen erwartet.”
“Ja und?”
“Taylor hat entschieden, dass er heute die Arbeit doch nicht ausfallen lassen kann. Es wird gedreht.”
“Verdammt.” Michael betrachtete die Seiten, die er schon gelesen hatte. Lorelei hatte Recht. Dieses Drehbuch hielt sich zu sehr an das wahre Leben. Er wollte einige Anrufe erledigen und Erkundigungen einziehen.
“Kein Problem”, versicherte Shayne, als Michael ihm erklärte, worum es ging. “Ich kann Lorelei zum Lagerhaus begleiten. Eigentlich sollte ich ohnedies tagsüber im Dienst sein.”
Das hielt Michael zwar für eine praktische Lösung, aber …
“Ich werde gut auf sie aufpassen, Mike”, versicherte Shayne. “Ich werde sie behüten, als wäre sie Bliss.”
Mehr konnte Michael nicht verlangen. Und Shayne war schließlich kein Amateur. Er hatte zwar kaum jemals darüber gesprochen, was er in den letzten zehn Jahren getan hatte, aber als Geheimagent oder Spion – oder was immer er gewesen war – hatte Shayne sicher zahlreiche gefährliche Situationen überstanden.
“Ich mache mir Sorgen um Lorelei”, gestand Michael.
“Ich weiß. Das ist der Nachteil, wenn man verliebt ist”, erwiderte Shayne. “Aber die guten Seiten überwiegen die Nachteile.”
Da Bliss vor kurzer Zeit in höchster Lebensgefahr geschwebt hatte, wusste Michael, dass sein Bruder ihn sehr gut verstand.
“Dafür, dass du nur mein kleiner Bruder bist”, scherzte er, “bist du gar kein so schlechter Junge.”
“Für einen großen Bruder bist du auch nicht übel”, erwiderte Shayne lachend. “Ich bin in zehn Minuten bei dir.”
Zehn Minuten, dachte Michael, als er die Verbindung unterbrach. Am liebsten hätte er Lorelei geweckt und sie leidenschaftlich geliebt. Die Vorstellung, Shayne könnte sie beide überraschen, dämpfte jedoch seine Lust.
Später, dachte er und betrat das Schlafzimmer. Lorelei lag in seinem Bett, sie hatte sich auf den Bauch gerollt und wirkte noch verführerischer als in seiner Fantasie.
“Bis später”, sagte er, als er sich eine Viertelstunde danach mit einem Kuss verabschiedete.
“Bis später”, wiederholte sie.
Und dann war sie fort. Michael betrachtete den Himmel mit den dunklen Wolken, die vom Golf hereinzogen, und verwünschte die Gewitterfront, die seine romantischen Pläne durchkreuzt hatte.
Sobald Michael das Drehbuch zu Ende gelesen hatte, sorgte er sich noch mehr. Er fuhr zu seinem Büro. Der Computer, den Shayne aufgestellt hatte, spuckte seitenlange Ausdrucke aus, die einen Einblick in die finanzielle Lage aller Leute boten, die zu den Aufnahmen nach New Orleans gekommen waren.
Da er Nelsons Spielschulden kannte, war Michael nicht überrascht, dass der Kameramann kein Sparbuch besaß und seine Kreditkartenkonten im Minus standen. Dennis, der Assistent, und sein Freund hatten dagegen nie Schulden gemacht, wenn man einmal von einem fünf Jahre alten Mustang, der inzwischen abbezahlt war, absah. Eric Taylor wiederum gab das Geld mit vollen Händen aus. Allerdings verdiente er auch genug.
Michael überprüfte die Schecks, die Brian Wilder in den letzten drei Monaten ausgestellt hatte.
“Interessant”, murmelte er, als sein Blick auf eine bestimmte Eintragung fiel. Er wollte schon nach dem Telefon greifen und einen ortsansässigen Grundstücksmakler anrufen, als die Glocke über der Tür im Erdgeschoss leise bimmelte.
Es war Montag, der Tag, an dem Bliss ihren Laden nicht öffnete. Von Shayne wusste er, dass sie heute erst am späten Nachmittag von einer Versteigerung aus Houma zurückkehren würde.
Michael zog die Pistole aus dem Schulterhalfter, öffnete langsam die Bürotür und schlich lautlos die Treppe hinunter.
Shayne parkte vor dem Gebäude, in dem gedreht werden sollte. Das
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