Michelle Obama – Ein amerikanischer Traum
möchten stolz auf ihre First Lady sein – mehr noch: Sie wollen sie einfach lieben. Deshalb darf sie in dieser Position mehrere Rollen zugleich ausfüllen, ohne dass es ihr als erklärungsbedürftiger Gegensatz ausgelegt wird. Wenn sie heute zum Beispiel soziale Ungerechtigkeiten bemängelt, wird das nicht mehr als Generalkritik an den USA interpretiert, sondern fügt sich ein in ihre Fürsorge für alle Schichten der Gesellschaft. Sie nimmt es weiterhin mit der Wahrheit nicht so genau, wenn sie angebliche Details ihrer Biografie zur Begründung politischer Botschaften heranzieht. Als sie etwa die High-School-Absolventen in Washington im Juni 2009 aufforderte, doch bitte Fremdsprachen zu lernen – warum nahm sie da Zuflucht zu der Schwindelei, sie selbst habe zu ihrem Bedauern nie diese Gelegenheit gehabt? Doch über solche Ungereimtheiten sieht die Öffentlichkeit inzwischen groß zügig hinweg.
Die Nation fühlt sich alles in allem offenkundig wohl mit dieser First Lady. Und umgekehrt fühlt sich Michelle augenscheinlich im Einklang mit ihrer neuen Rolle. Die Aufgaben, die sie nun erfüllen soll, sind ihr wie auf den Leib geschneidert. Sie scheint mit sich im Reinen. Dazu tragen zwei Faktoren ganz besonders bei: Sie hat ihr privates Ideal vom Familienleben weitgehend erreicht. Es klingt paradox: Barack und sie mussten erst ins Weiße Haus einziehen, damit sich Michelles konservative Vorstellungen vom Nest für die Kinder erfüllen, so wie sie es aus ihrer Kindheit kannte – die Mutter ist die meiste Zeit zuhause, der Vater kehrt abends von der Arbeit an den gemeinsamen Esstisch zurück. Und sie muss das nicht mit dem Verzicht auf ihre eigene berufliche Bedeutung bezahlen. Der zweite Wohlfühlfaktor: Wie in Chicago hat sie sich abermals ihr ganz persönliches «support network» für die neue Aufgabe geschaffen. Ihr Küchenkabinett wird stark von guten alten Freundinnen und Bekannten aus Chicago geprägt, wie wir gleich sehen werden. Der nüchtern-pragmatische Einfluss ihrer kühlen Heimatstadt am Ufer des Lake Michigan gilt generell für ihren Stil und auch für ihre Mode.
Der Chicago-Stil
Michelle beeindruckt Amerika als First Lady. Das Land wusste nicht so recht, was es von ihr erwarten durfte und wie sie die Premierenrolle der ersten Afroamerikanerin in dieser Position ausfüllen werde. Es gelingt ihr mit Selbstverständlichkeit und zugleich so, dass sich die Nation mit ihr identifizieren kann. Sie erfüllt das allgemeine Bedürfnis nach Sinnstiftung, Repräsentation und Unterhaltung in einem überzeugenden, persönlichen Mix. Und sie tut das, wenn man den Umfragewerten glauben mag, sogar besser noch als ihre Vorgängerinnen. Objektivere Maßstäbe als die Beliebtheitsskala stehen nicht zur Verfügung. Offiziell gibt es das Amt nämlich gar nicht – und auch kein Jobprofil, das man Punkt für Punkt zur Bewertung ihrer Performance heranziehen könnte. Die First Lady ist kein Verfassungsorgan, weder in der Gewaltenteilung noch in den Gesetzen ist ihr eine Funktion zugewiesen. Und doch spielt sie eine mächtige Rolle in der Selbstdarstellung der Regierung im In- und Ausland. Alle Welt spricht über ihre Mode. Halb Amerika möchte wissen, wer diese Woche bei den Obamas eingeladen war – und wie man selbst auf die Liste kommt. Die Nation staunt, als der Springbrunnen vor dem Weißen Haus am St. Patrick’s Day auf Michelles Wunsch hin plötzlich in der irischen Nationalfarbe Grün sprudelt. Und wenn Barack und Michelle für eine «Date Night» wie zwischen frisch Verliebten nach New York ausbüchsen, im «Blue Hill» speisen, einem Restaurant mit typisch amerikanischer Küche, und anschließend eine Broadwayshow besuchen, dann haben die Bürger wieder ein neues Gesprächsthema. Vergleichbares kannte man weder von den Clintons noch den Bushs. Die Republikaner nörgeln zwar, so ein Luxus passe schlecht in die Rezession. Manche fragen auch, wer eigentlich die hohen Kosten bezahle, die sich aus dem Sicherheitsaufwand für solch einen Ausflug ergeben. Aber die meisten Amerikaner finden es eher rührend, dass Barack an der Tradition der Date Night auch nach rund 17 Ehejahren festhält. Und manche Ehefrau wird das Vorbild zum Anlass genommen haben, ihren Gatten zu fragen, wann er sie das letzte Mal ähnlich stilvoll ausgeführt habe.
Michelles Küchenkabinett
Michelle ist jetzt eine Marke, so ähnlich wie ein Megastar der Musik- und Filmindustrie. Darüber hinaus soll sie das Land nach außen repräsentieren. Und
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