Michelle Reid
ganz unrecht, dachte Leo. Aber wenn sie glaubte, er habe nicht mitbekommen, wie sehr sie sich über seinen Verdruss gefreut hatte, dann …
„Komm mit“, bat er seufzend. Hatte er nicht bekommen, was er sich gewünscht hatte? Wenn er anschließend herausfand, dass er es doch nicht mehr wollte, war das sein Problem, nicht Natashas.
Nur zu gerne hätte Natasha gewusst, ob das Prickeln, dass sie verspürte, als sie neben ihm herging, Triumph oder Unmut entsprang. Doch in dem Moment, in dem sie die Schwelle zum eigentlichen Restaurant überquerten, sah sie sich einem ganzen Bündel neuer innerer Kämpfe ausgesetzt, weil sie sich sofort im Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit befand. Zwanzig Augenpaare richteten sich überaus neugierig auf sie.
Sie schmiegte sich ein wenig enger an Leo. Leo reagierte, indem er einen Arm um ihre Schultern legte.
Er stellte sie den anwesenden Gästen nur mit „Natasha“ vor. Hätte er auch ihren Nachnamen erwähnt, hätte das zu unschönen Spekulationen über Rico führen können. Mindestens die Hälfte der Anwesenden stand auf der Liste der Hochzeitseinladungen, die Ricos Mutter ihr letzte Woche per E-Mail geschickt hatte.
Bei dem Gedanken an Rico überfiel sie leichtes Unbehagen. Allmählich ärgerte es sie richtig, dass Leo sie überhaupt zu diesen Menschen gebracht hatte. Je länger sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr eines. Sobald diese Leute herausfanden, wer sie war, würden sie aufhören, sie mit Respekt zu behandeln. Im Moment taten sie das nämlich nur, weil Leo Christakis den Arm um sie gelegt hatte.
Das Dinner wurde von einem von Athens besten Küchenchefs zubereitet, wie ihr einer von Leos Freunden mitteilte, der ihr gegenübersaß.
„Leo will in jeder Hinsicht nur das Beste“, sagte Dion Angelis und schaute grinsend Leo an, der den Platz neben ihr eingenommen hatte.
Dion Angelis war ungefähr in Leos Alter und war von derselben Aura aus Reichtum und Einfluss umgeben, wie alle anderen Gäste. Neben ihm saß seine griechische, ungemein hübsche Frau Marina.
Griechische Ehefrauen sprachen nicht mit den Geliebten anderer Männer – zumindest nicht in diesen sozialen Kreisen, hatte Natasha im Verlauf des Abends bereits herausgefunden. Und allmählich verstand sie auch den Grund dafür, weil nämlich Dion Angelis nun seinen Blick aufreizend langsam über ihren Körper wandern ließ. Sie hätte schon sehr naiv sein müssen, um nicht zu begreifen, was diese Geste bedeuten sollte.
Vorsichtig schaute sie flüchtig zu Marina hinüber, die ihr Bestes tat, ihre Wut über das unverhohlene Interesse ihres Mannes zu verbergen. Allerdings sandte sie vorher noch einen vernichtenden Blick an Natashas Adresse. Danach wandte sie sich gespielt ungezwungen an Leo.
„Leonadis …“ Überrascht blickte Natasha auf. Nie zuvor hatte sie gehört, dass jemand Leo mit vollem Namen ansprach. „Gianna hat dich gestern bei Boschetto’s erwartet. Sie hat sich große Sorgen gemacht, weil du nicht gekommen bist.“
Natasha lehnte sich zurück und setzte eine möglichst unbeteiligte Miene auf. Also rangierten sogar Exfrauen höher als Geliebte.
„Gianna hat mir ihre Meinung bereits mitgeteilt“, sagte Leo ruhig. „Dion, bitte sei so freundlich und hör auf, auf die Brüste meiner zukünftigen Frau zu starren.“
Die nur leise gesprochenen Worte brachten jedes Gespräch im Raum zum Verstummen. Dion lief knallrot an. Seine Frau blickte Natasha mit weit aufgerissenen Augen an – ebenso wie alle anderen Anwesenden.
„Herzlichen Glückwunsch“, sagte jemand und löste damit eine Lawine an Gratulationen aus. Als Leo endlich geruhte, Natasha anzusehen, lag in seinem Blick die schweigende Herausforderung, sie könne es ja wagen und seine Worte abstreiten.
Fast lag es ihr auf der Zunge, allen zu verkünden, wer sie in Wirklichkeit war.
Doch Leo ergriff rasch ihre Hand und drückte sie sehr fest. „Nicht“, warnte er.
Also wandte sie sich wieder an Marina. „Schwierig, die Beziehungen anderer Menschen richtig einzuordnen, nicht wahr?“, meinte sie zuckersüß lächelnd. „Ich kann nur hoffen, dass meine Ehe mit Leo ein weniger dramatisches Ende nimmt, und ich es dann mit mehr … Würde akzeptiere.“
Damit erhob sie sich. Auch Leo stand auf. Er hielt ihre Hand immer noch fest in seiner. „Entschuldigt uns“, erklärte er der aufmerksamen Gästeschar. „Es scheint, als müssten Natasha und ich uns zurückziehen, um über ihren Wunsch zu diskutieren, unsere Ehe vor
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