Mick Jagger: Rebell und Rockstar
er Rick Rubin. Denn der versuchte Mick zu überreden, zusammen mit den Red Devils ein Album mit Blues-Standards aufzunehmen. »Ich sagte: ›Du meine Güte, während wir noch an dem einen Album arbeiten, sollen wir gleichzeitig noch ein anderes machen?‹«, erzählte Mick Jahre später dem Journalisten Alan Light. »Rick, mir dir zusammenzuarbeiten, ist echt kein Zuckerschlecken!« Das Timing schien seltsam gewählt, denn die Sessions für Micks drittes Soloalbum Wandering Spirit liefen wie geschmiert. Von Micks Jugendliebe, dem Blues, war auf dem neuen Album nicht sonderlich viel zu hören, aber die neuerliche Begegnung mit ihm mag Jaggers Augen und Ohren wieder für das Echte und Wahre geöffnet haben. Musikalisch gesehen landete auf Wandering Spirit vieles, das auch auf eine späte Stones-Platte gepasst hätte, »Wired All Night« zum Beispiel. Deswegen steht das Album wohl auch bei Stones-Fans so hoch im Kurs; es hat den Biss eines Jagger/Richards-Projekts, bietet aber etwas persönlichere Texte. Mick schrieb schnörkellose Songs wie »Evening Gown« und »Don’t Tear Me Up«. Der Sound war jedoch sehr modern. »Sweet Thing« beeindruckt mit einem großartigen souligen Falsett und funkigen Grooves, die auch auf einem Album der Red Hot Chili Peppers nicht deplatziert gewirkt hätten. Bodenständigen Blues suchte man hier vergebens, aber das war ja auch nicht das, was Mick haben wollte, nämlich den neuesten Sound, der dank neuester Technik realisiert werden konnte. Doch Rubin, der die Kunst beherrschte, andere Menschen zu überzeugen, hatte noch eine andere Idee, und Mick Jagger dachte wohl, dass er auf diesen angehenden Guru hören sollte.
Eines Abends Mitte Juni 1992 rief Rubin bei den Red Devils an und bestellte sie für den nächsten Tag in die Ocean Way Studios, um Aufnahmen mit Mick Jagger zu machen. »Alle waren aufgeregt und nervös – wie hätte das auch anders sein können?«, so Size. Mick kreuzte mit einem Stapel LPs unter dem Arm auf, die er der Band vorspielte. »Mick hatte extrem gute Laune. Ich dachte, er sei stoned. Er war wirklich unfassbar gut aufgelegt. Er war vor Freude völlig außer sich, weil er all diese Songs aufnehmen durfte. Er wählte all die Lieder aus, die er mit den Rolling Stones nie hatte einspielen können.« Die Musiker setzten sich zusammen und hörten jeden Song einmal an, dann schnappten sie sich ihre Instrumente und spielten drauflos. Zu guter Letzt machten sie ein paar Aufnahmen von ihren Versionen der Klassiker, während Rubin am Mischpult saß. Die Session dauerte rund sieben Stunden. Danach packte Mick seine Platten ein, sprang in den Wagen, der auf ihn wartete, und brauste davon. Die mit Adrenalin vollgepumpten Red Devils blieben allein zurück, unsicher, was sie von dem seltsamen Ereignis, das sich gerade zugetragen hatte, halten sollten. Sollte das jetzt Micks Soloalbum werden? Waren sie jetzt seine Backingband? »Ich hatte den Eindruck, wir würden an einer Platte arbeiten. Jeder dachte, dass sie definitiv auf den Markt kommen würde. [Wir] warteten und warteten; und natürlich passierte nichts.«
© AFP/Getty Images
Mick Jagger auf Solopfaden: Am 9. Februar 1993 singt er in der Webster Hall in New York Songs aus seinem neuen Soloalbum Wandering Spirit .
Für ihre Mühen erhielten die Red Devils eine Aufwandsentschädigung in Höhe von zweihundert Dollar pro Kopf. »Sie speisten uns mit einem Trinkgeld ab«, so Size. Die Red Devils gingen auf Tour und sie hatten sogar ein paar Auftritte in Londoner Clubs, unter anderem auch anlässlich Micks Geburtstag im Juli. Aber der Druck wurde immer größer und damit nahm ihr Drogenkonsum derart überhand, dass die Band bald auseinanderzubrechen begann. Nur ein einziger von ihren gemeinsam eingespielten Songs, »Checkin’ Up on My Baby«, ist je offiziell erschienen, und zwar auf The Very Best of Mick Jagger , der Songauswahl, die über zehn Jahre später veröffentlicht wurde. Die Idee dahinter war, dieses Album durch einen bis dato unbekannten Song für die potenziellen Käufer schmackhafter zu machen (wobei auch der wenig bekannte von Lennon und Jagger aufgenommene Song »Too Many Cooks« darauf zu finden ist). Mick konzentrierte sich nach der Session mit den Red Devils sofort wieder auf sein Soloalbum Wandering Spirit , das ein Jahr später erschien und von der Kritik hoch gelobt wurde. Es gilt gemeinhin als das beste Soloalbum, das je ein Rolling Stone gemacht hat, doch wie alle Alben seit She’s the Boss war
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