Mick Jagger: Rebell und Rockstar
bei jeder sich bietenden Gelegenheit. Es war während der Phase ihrer größten Entfremdung Mitte der 80er, als Keith ein Buch von Brenda Jagger entdeckte, einer in Yorkshire geborenen Autorin von historischen Romanen. Seither nennt Keith ihn – hinter Micks Rücken – Brenda, wenn dieser nach seiner Ansicht mal wieder auf Abwege gerät.
Brenda. Ihre Majestät Brenda. Oder einfach »die Zicke«. Das blieb nicht lange ein Insiderwitz. »Keiths Kritik an Mick ist manchmal ein bisschen kindisch«, sagt Altham. Mick ist nicht darauf eingegangen. Er hat nie wirklich etwas dagegen unternommen, hat die Beleidigungen einfach ertragen. Als er sich 1995 mit dem Rolling Stone -Herausgeber Jann Wenner, mit dem er eng befreundet ist, zusammensetzte, war es das letzte Mal, dass er sich auf ein tiefschürfendes Interview eingelassen hat, das überdies länger als die üblichen zwanzig Minuten dauerte, die er gewöhnlich gewährt. Entsprechend kurz fiel die Coverstory aus, die Zoë Heller im Herbst 2010 für das Style Magazine der New York Times schrieb.
»Interviewt zu werden ist für Jagger alles andere als ein angenehmer Zeitvertreib«, schreibt Wenner im ersten Absatz, bevor er das relativ ausführliche Interview folgen lässt. Doch nicht nur darin, sondern auch in den Kurzgesprächen mit weniger namhaften, inquisitorischen Journalisten kommt Jagger argwöhnisch, widerspenstig und herablassend rüber. Als der britische Musikjournalist Nick Kent 1973 den damaligen Stones-Gitarristen Mick Taylor für den New Musical Express (kurz NME ) interviewte, besaß er die Frechheit, sich beim ebenfalls anwesenden Sänger der Band kurz zu erkundigen, ob in der Zukunft mit einem Soloalbum von ihm zu rechnen sei. Jagger, gerade intensiv mit dem Verzehr einer Wurst beschäftigt, erwiderte: »Das ist nicht mein Interview!«
Weniger Wurst und mehr Zucker hätten vermutlich geholfen, Mick bei denen beliebter zu machen, die ihm hätten helfen können, ein freundlicheres Bild von ihm zu vermitteln und vor jenen Schmähungen zu bewahren, denen er sich in den Jahren nach »Rock Against Yeast« ausgesetzt sah. Ein Beispiel dafür lieferte im Jahr 2003 das mitunter großartige Magazin Blender (für das auch ich später geschrieben habe), das eine Liste der fünfzig schlimmsten Rockstars aller Zeiten veröffentlichte, in der Mick Jagger als Solokünstler Rang dreizehn einnahm. Er lag damit unmittelbar vor dem langhaarigen New Ager Yanni und dem skurillen schwedischen Gitarren-Shredderer Yngwie Malmsteen. »Angesichts der Top-Musiker, die Mick Jaggers Ruf gefolgt sind und bei seinen vier Soloalben mitgewirkt haben, hätte sogar ein gänzlich unmusikalischer Sechsjähriger etwas produziert, das man sich auch ein zweites Mal würde anhören mögen«, war im Blender zu lesen, wo es weiter hieß: »Nur scheint es so, dass leider gerade kein gänzlich unmusikalischer Sechsjähriger zur Verfügung steht, wenn man ihn einmal braucht.« Ein vernichtendes Urteil, und das von einem Musikmagazin, das sogar Tila Tequila aufs Cover brachte. Man ist (so wie ich) versucht, Mick zu verteidigen, weil aus dem Jagger-Lager nichts zu hören ist. Keith und seinesgleichen haben einige von uns zu einer Art Schulhofaufsicht gemacht. Zwei Jahre zuvor veröffentlichte der New York Observer eine von Ron Rosenbaum verfasste Kolumne mit dem Titel: »Mick Jagger: unser am meisten unterschätzter Songwriter«. Rosenbaum ist der Ansicht, dass Jaggers Jetset-Lifestyle und seine manisch exhibitionistische Rolle, die er auf der Bühne spielt, viel zu sehr den Blick darauf verstellen, welche umwerfenden, ergreifenden Balladen er geschrieben hat. Man braucht nur an »Angie«, »Time Waits for No One« und das etwas scheppernde, wunderbar traurige »Blue Turns to Grey« zu denken. Rosenbaum führt die »sparsame, Beckett-hafte Sprache in ›No Expectations‹ an« und fühlt sich bei der Art der Charakterzeichnung in »Till the Next Goodbye« an Graham Greene erinnert. 2001, als Rosenbaums Kolumne erschien, kam Micks viertes Soloalbum, Goddess in the Doorway , heraus und ging in der ersten Woche in Großbritannien nur rund neunhundertmal über die Ladentheke. Und das trotz einer enormen PR-Kampagne, zu der auch eine einstündige, zur Primetime ausgestrahlte BBC-Doku mit dem Titel Being Mick und eine Reihe Interviews gehörten, die der Musikpresse ansonsten nur äußerst selten gewährt werden. Diese Maßnahmen trugen ebenso wenig dazu bei, dem Album einen kommerziellen Erfolg zu
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