Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Sätze, meistens aber auch nur einen.« Aber wenn man sich mit Keith Richards hinsetzt, redet er so lange, bis man das Gefühl hat, an ihn als Menschen heranzukommen und ihn ein wenig kennenzulernen. Er hält mit seinen Ansichten nicht hinterm Berg, er fragt sich nicht: »Sollte ich das einem Journalisten wirklich erzählen? Wie wird das rüberkommen? Wird das womöglich negativ aufgefasst werden?« Er legt einfach los. Er schert sich nicht wirklich darum, wie das, was er sagt, bei anderen ankommt. Er nimmt die Konsequenzen in Kauf, ob er nun über Elton John herzieht oder erzählt, wie er die Asche seines Vaters geschnupft hat – was natürlich empörend und völlig daneben ist. Wie auch immer, Keith spielt mit den Medien wie auf einer Mundharmonika.
Als ich Marianne Faithfull, die in den 60ern Micks berühmte Freundin und Muse war, ebenfalls während eines Interviews für die Vanity Fair -Website eine ganz ähnliche Frage stellte, schien sie irgendwie amüsiert über die Bemerkung. »Ich glaube, die Leute wissen, das er ziemlich cool ist.«
Marc: Aber sie haben sich mit der Zeit von ihm abgewendet. Seine Coolness war mal gewaltig, aber heute ist davon nur noch wenig geblieben. Von Keith oder Ihnen hat sich hingegen niemand abgewendet. Anders als Mick sind Sie immer cool gewesen. Warum, glauben Sie, ist das so?
Marianne: Ich weiß nicht. Ich habe einfach eine Menge Glück. Ich glaube, die Leute wissen, dass ich gute Absichten habe. Ich bin nicht aus niederen Beweggründen dabei. Ich bin nicht dabei, um flachgelegt zu werden. Auch nicht des Geldes wegen. Ich habe andere Gründe.
Marc: Und die junge Generation kann das erkennen? Und respektieren?
Marianne: Sie wissen, dass ich niemand bin, der nimmt. Sie können es fühlen. Sie wissen, dass ich jemand bin, der gibt.
Ich glaube kaum, dass wir, wenn wir an Mick denken, auch an Großzügigkeit denken – wie auch immer geartete. Anders als Marianne Faithfull oder andere ewig coole, alternde Musiker (Leonard Cohen, Lou Reed, Iggy Pop, David Bowie, Scott Walker, Lee »Scratch« Perry), steht Mick nicht mehr auf der Liste der Idole, die jede neue Generation für sich entdecken möchte und in ihren Reihen willkommen heißt; er gehört nicht mehr zu den Ewigjungen.
Wir, die interessierten Journalisten, die wir wie Candy Slice besessen sind von dem jungen Mick, den wir geliebt haben, der uns gerockt hat, wir wollen eine Stunde. Doch wir kriegen nur zwanzig Minuten. Was sollen wir mit den restlichen vierzig tun? Wir denken über Brenda nach. Jedes Vakuum muss gefüllt werden, also saugen wir uns was aus den Fingern. Mick ist so etwas wie ein unsicherer Peter Pan. Ein Bob Hope oder ein Dick Clark des Rock’n’Roll, jemand, der nicht weiß, wann man es gut sein lässt mit der Karriere und einen ebenso würdevollen wie selbstbestimmten Abgang macht. Ein Geizkragen, besessen von jedem geschäftlichen Detail, mit dem die Rolling Stones AG Geld scheffelt: das Logo mit der herausgestreckten Kali-Zunge auf Kreditkarten, Krawatten, Kaffeebechern und Schlüsselbändern. Wir wünschen uns einen Mick mit einem wärmeren Naturell, weil die Musik der Stones – vor allem auf dieser perfekten Viererserie von Beggars Banquet 1968 über Let It Bleed 1969 und Sticky Fingers 1971 bis hin zum 72er Doppelalbum Exile on Main Street – so erdig und locker, rauchig und wahrhaftig klingt. Sie bringen uns dazu, dass wir uns verschwitzt und sexy fühlen – und dass uns warm ums Herz wird. Wie kann der Kerl, der diese Lieder singt, nur so ein kalter Fisch sein? Wurde er unserer Zuneigung überdrüssig? Unserer Großmütter und Mütter und Tanten, die sich seinetwegen in den frühen 60ern die Seele aus dem Leib schrien und ihm ihre Schlüpfer auf die Bühne warfen? All dieser schmierigen Plattenbosse, der Jerry Aldinis dieser Welt, der Dealer und Schmarotzer, der Verräter der späten 60er, die nicht aufhörten, ihm Honig um den Mund zu schmieren? Hat er da die Schotten dicht gemacht? »Jeder wollte ein Stück abhaben«, erinnert sich Keith in Life an eine Zeit Mitte der 60er, als Mick und nicht er selbst oder der immer stärker abbauende Brian Jones der einzige Blitzableiter der Gruppe war. »Man beginnt nach und nach, jedem gegenüber diese abwehrende Haltung einzunehmen, nicht nur Fremden, auch Freunden. Er war früher viel warmherziger, aber das ist viele, viele Jahre her. Er hat sich selbst in einen Kühlschrank zurückgezogen.« Es gibt tatsächlich Personen, die, vor allem in den 70er-
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