Mick Jagger: Rebell und Rockstar
Films herauszureißen, wobei wir auch diesbezüglich völlig einer Meinung waren.«
Ohne Gimme Shelter wäre Meredith Hunter möglicherweise inzwischen weitgehend vergessen. Seine sterblichen Überreste ruhen in einem nicht gekennzeichneten Grab auf einem Friedhof in Vallejo, Kalifornien. Es gibt eine traurige, kurze Dokumentation von Sam Green aus dem Jahr 2006 mit dem schlichten Titel Lot 63, Grave C , die sich mit Hunters Tod und seiner sehr abgeschiedenen, letzten Ruhestätte beschäftigt.
»Für mich war das ein wichtiges Zeichen dafür, wie mitfühlend und rücksichtsvoll Mick auf das Geschehne reagiert hat«, sagte Maysles.
»Die Leute haben förmlich danach verlangt«, sagte Keith später einmal über Altamont. »Sie hatten diese Opferminen.« Aber auch Micks Gesicht ist das Gesicht eines Opfers, wie es für immer eingefroren in die Kamera starrt, nachdem er sich vom Schnittpult erhoben hat. Keith mit seiner simplen Schwarz-Weiß-Sicht auf die Dinge ist – und das ist entscheidend – nie das Opfer. Er investierte Millionen in pharmazeutisches Heroin, in Anwälte und Berater, die einen undurchdringlichen Schutzwall um ihn herum errichteten, während er sich an einen Rest Herzenswärme klammert, die manchmal von einem aufrichtigen, jungenhaften Lächeln befeuert wird. Das ist, so sehr wie alles andere, der Grund, warum junge Leute heute noch so sein wollen wie er. Es erscheint uns einfacher, sauberer, spaßiger und nicht zuletzt sicherer zu sein – obschon wir nicht über die Millionen verfügen, die man braucht, um das auch garantieren zu können. Während ich noch an diesem Buch schrieb, machte in meinem Umfeld eine Frage die Runde, so etwas wie ein Rorschachtest für Kneipengänger, ein Gesellschaftsspiel für meine snobistischen Rockkumpels und Bekannten. Es ist eine einfache Frage, aber die Antwort verrät alles (glaube ich; andere mögen sagen: überhaupt nichts) darüber, wo man selbst im Leben steht.
Diese Frage lautet: »Wer würdest du lieber sein, Mick oder Keith?«
Kaum jemand wird sich für Mick entscheiden. (Wann sah man ihn das letzte Mal lächeln?) Wenn Popsternchen Ke$ha 2009 in ihrem Hit »TiK ToK« davon singt, Typen von der Bordsteinkante zu schubsen, »solange sie nicht wie Mick Jagger aussehen«, gehen wir davon aus, dass sie den jungen Mick meint (wohingegen sie sich bei dem »P. Diddy«, den sie zu Beginn des Songs erwähnt, auf den gegenwärtigen bezieht). Wenn Ghostface Killah allerdings gar nicht erst auf den Reim gestoßen wäre und Kanye West ihn in seinem Hit-Duett mit Jay-Z und T. I. »Swagga Like Us« 2008 nicht bekannt gemacht hätte, wäre er bei Ke$ha wohl kaum aufgetaucht. Jenseits der britischen Boulevardzeitungen und der Seite sechs der New York Post (wo man sich immer wieder wundert, wie jugendlich er noch das Tanzbein auf irgendeiner Fashion Event Party schwingt) wird Micks Name in den USA nämlich überhaupt nicht erwähnt. Vergessen ist die Tatsache, dass Mick bereits einen diamantenbesetzten Zahn hatte, lange bevor der Begriff Bling-Bling überhaupt in aller Munde war. Zugegeben, vor einigen Jahren hätte auch ich spontan noch »Keith« sein wollen, aber wenn man sich einmal mit den tatsächlichen Sachverhalten und den Geschichten hinter den öffentlichen Images beschäftigt hat, entscheidet man sich ohne zu zögern für Mick. Mick Jagger ist derjenige, der man gerne wäre, wenn man erwachsen ist. »In welchem Maße ich die Rolle spielte, die man mir zugeschrieben hatte, kann ich heute nicht mehr sagen«, gibt Keith in seiner Biografie unumwunden zu. »Ich meine solche Sachen wie den Totenkopfring, den kaputten Zahn, das Kajal. Halb und halb vielleicht? Die öffentliche Person, das Bild, das jeder von einem hat, ist wie eine Sträflingskette mit Bleikugel.«
Das hier ist kein Anti-Keith-Buch. In den Briefen, die ich geschrieben, und den Anfragen, die ich zu einigen Themen gestellt habe, habe ich das auch immer betont. Ich für meinen Teil liebe den Mythos Keith noch immer. Ich habe den größten Respekt für die Unbeugsamkeit und den Stolz, mit denen er dieses verbrauchte Dandy-Antlitz seiner Endzwanziger trägt, ich bin sogar der Meinung, Keith trägt es mit einer bemerkenswerten, sagenhaften Würde. Ich bin fasziniert von Keiths deformierten Fingern, den geschwollenen Gelenken, den verhornten Fingerspitzen und dem bereits erwähnten Totenkopfring, von den ewig qualmenden Zigaretten und den Unmengen an Wodka-Orange, die er konsumiert und mit denen er dem Tod
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