Mick Jagger: Rebell und Rockstar
und 80er-Jahren, zum engeren Umfeld der Stones gehörten und diese Distanziertheit bestätigen. »Zwanzig Minuten in sechs Jahren«, mailte mir einer von ihnen auf die Frage, wie viel direkten Kontakt er tatsächlich mit Mick hatte.
Nehmen wir einmal an, Mick Jagger hat sich tatsächlich emotional abgekapselt. Ist nur noch Kopf, ganz ohne Herz. Wann genau kam es dazu? Wann hat Mick den Kontakt zu uns verloren? Wann hörte er auf, einer von uns zu sein? War es in Altamont? Wenn man sich Gimme Shelter anschaut, den Dokumentarfilm von Albert und David Maysles und Charlotte Zwerin über die 69er US-Tour der Stones, erlebt man tatsächlich einen Augenblick, in dem man zu sehen können glaubt, wie Mick Jaggers rebellische Seele seinen Körper für immer verlässt. Einen Moment lang ist er noch offen, im nächsten verschlossen und ernst. Mick sieht sich zusammen mit Albert und David Maysles in einem Schnittraum Filmaufnahmen vom Altamont Free Concert an. Er ist damals gerade siebenundzwanzig, ein Alter, in dem eine Reihe großer Rockstars den Löffel abgaben. Er wirkt verstört. Seine Fingernägel sind dreckig. Ein Jahr zuvor hatte er fast noch an die Revolution geglaubt (auch dazu später mehr). Die Bilder von den Gewaltausbrüchen, zu denen es während des Konzerts kam, laufen noch einmal vor ihm ab; dann zeigt der Monitor, auf den Mick starrt, nur noch Weiß. Er steht auf, stammelt ein knappes, kaum hörbares »Danke«, und der Teil von ihm, nach dem wir uns noch heute sehnen, hat sich möglicherweise für immer verabschiedet. An die Stelle dieses Teils von ihm trat ein Privatleben, das aggressiv verteidigt wurde, und das schlechteste öffentliche Image in der Geschichte des Rock’n’Roll, an diese Stelle trat Brenda.
Oder war es doch nicht so? Der einzige Grund, aus dem wir über den besagten Augenblick hier überhaupt sprechen können, ist, weil Mick Jagger es erlaubt hat. Zusammen mit Keith hat er das gesamte Filmmaterial, das für Gimme Shelter verwendet wurde, freigegeben – Material, das ihn in Altamont auf der Bühne an dem Punkt zeigt, an dem er so ohnmächtig, verschreckt und desillusioniert war wie wohl noch nie zuvor in seinem Leben. Er hätte auch einfach all das verbrennen können. »Von einem Moment auf den anderen habe ich meinen Respekt vor Jagger verloren«, sagte mir der Musiker, Autor und Aktivist Mick Farren während eines Telefonats. Bevor wir überhaupt offiziell mit dem Interview begonnen hatten, hatte Farren mich vorgewarnt, dass er Mick Jagger für »den Fredo Corleone« der Stones hielt. In Der Pate wollte Fredo gerne der große Boss sein, aber er war so korrumpierbar, das er letztendlich tragischerweise etwas tat, wodurch er die ganze »Familie« verriet. Farren glaubt, dass man in Gimme Shelter alles Entscheidende sehen kann. »Angesichts einer echten satanischen Macht verwandelte sich Mick im Grunde genommen in eine aufgeschreckte alte Tunte. ›Oh, Leute, warum kämpfen wir? Oh, Brüder und Schwestern.‹ Das war ein Moment, in dem man seine Autorität behaupten muss. In einem gewissen Maße hat Keith das getan. ›Hey, ihr Arschlöcher, wenn das nicht aufhört, machen wir uns vom Acker.‹ Ganz der routinierte alte Rocker. Verdammt nochmal. Genau so etwas habe ich von Jagger erwartet, und genau das habe ich nicht bekommen. Es war wie eine Szene aus Des Kaisers neue Kleider .«
Trotzdem gilt es zu bedenken: Wir würden von diesem Moment, auf dem unsere Meinungsbildung basiert, überhaupt nichts wissen, wenn Mick, das »Gehirn« der Stones, es nicht gewollt hätte.
Vielleicht findet sich dieser Punkt, von dem viele glauben, dass Mick Jagger an ihm aufhörte, einer von uns zu sein, selbstlos und warmherzig zu sein, in seinen sorglosesten und schnörkellosesten Darbietungen. Wenn ein Rock’n’Roll-Star seine coole Pose aufgibt, dann bleibt ihm manchmal nichts mehr. Wenn wir uns mit Mick Jagger beschäftigen, beschäftigen wir uns mit einer riesigen Grauzone: Er ist eine komplexe, schwierige, verstörende Person, die nur allzu oft schwarz-weiß gezeichnet wird. »Als wir den Film fertiggestellt und ihm vorgeführt hatten, konnte er sich zuerst nicht dazu durchringen, ihn freizugeben«, erzählte mir Albert Maysles, einer der Regisseure. »Das dauerte noch einmal sechs Monate. Glücklicherweise verlangten weder er noch die anderen Stones irgendwelche Veränderungen. Daher blieb der Film voll und ganz so, wie wir ihn haben wollten. Sie baten uns, die Gewaltszenen nie aus dem Kontext des
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