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Microsklaven

Microsklaven

Titel: Microsklaven Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Coupland
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hat man nie etwas davon gehört, daß Leute ›kein Leben haben‹.« Er zählte die Technologien auf:
     
    »Videorecorder
    Videotheken
    PCs
    Modems
    Anrufbeantworter
    Touch-Tone-Telefone
    Mobiltelefone
    schnurlose Telefone
    Mithörfunktion
    Telefonkarten
    Geldautomaten
    Faxgeräte
    Federal Express
    Strichcodes
    Kabelfernsehen
    Satellitenfernsehen
    CDs
    Taschenrechner mit beinahe überirdischen Fähigkeiten, die so billig sind, daß man sie praktisch zu einer Tankfüllung gratis dazubekommt«
     
    In den frühen Tagen des Informationszeitalters, also vor 1976, bevor es all diese Dinge gab, waren zwischenmenschliche Beziehungen und Fernsehen die einzig verfügbaren Formen von Unterhaltung. Jetzt gibt es andere Dinge. Zum Glück liegen bei mir Depressionen in der Familie.«
    » Zum Glück?« fragte ich.
    »Klar, mein Lieber. Ich wußte einfach nicht, wie ich mein Gehirn dahingehend manipulieren sollte, daß es parallel arbeitete statt linear - doch dann wurde Prozac erfunden und all die anderen Medikamente mit gleicher Zusammensetzung, und - kawumm! - seitdem ist mein Gehirn eine Art Oracle-Parallelrechner.«
    »Da komm' ich nicht ganz mit, Ethan.«
    »Prozac ist toll - und da geht es meiner Meinung nach um mehr als nur um Serotonin und Rezeptoren und so weiter. Ich glaube, diese Chemikalien verkabeln dein Gehirn praktisch so, daß es parallel denkt. Sie konvertieren es buchstäblich von einem Macintosh oder IBM zu einem Cray C3 oder Thinking Machines CM5. Prozac und ähnliche Chemikalien unterdrücken die Gefühle nicht - sie spalten sie in kleinere ›Empfindungseinheiten‹ auf, die von dem neuen Parallelhirn schneller verarbeitet werden.«
    »Das muß ich erst mal verdauen, Eth-«
    »Ich nicht. Lineares Denken ist out. Parallel ist angesagt.«
    »Kannst du mir das noch mal genauer erklären - wie wirkt sich, was immer du da einnimmst, auf deine Zeit aus?«
    »Ich weiß noch, wie ich einmal ungefähr sechs Monate lang schwer depressiv war. Als es vorbei war, hatte ich das Gefühl, ich müßte diese sechs ›verlorenen‹ Monate wiedergutmachen. Mann, Depressionen sind das Letzte. Meine These lautet also: Solange ich nicht schlecht drauf bin, verschwende ich keine Zeit. Also sehe ich zu, daß ich nie schlecht drauf bin.« Es schien ihm ziemlich viel Spaß zu machen, mir diese Theorie zu erklären.
    »Kennst du das, wenn jemand sagt: ›Weißt du noch, die Strand-Party letztes Jahr?‹, und du antwortest: ›0 Gott, war das letztes Jahr? Es kommt mir vor, als wäre das erst einen Monat her!‹? Wenn ich ein Jahr lang lebe, will ich, daß mir das Jahr auch wie ein Jahr vorkommt. Ich will nicht das Gefühl haben, es sei nur ein Monat gewesen. Ich will nur erreichen, daß sich die Zeit wieder wie Zeit ›anfühlt‹ - daß sie einem länger vorkommt. Ich besorge mir meine Zeit auf Vorrat.«
    I ch bin gründlich deprimiert von Ethan weggefahren und wußte nicht recht, ob ich ihn nach wie vor nicht mochte oder ob er mir nur leid tat. Ich schickte Abe per E-Mail eine Zusammenfassung von Ethans Zeittheorie, und er war gerade online und antwortete mir sofort:
     
    ›Was würde passieren, wenn die Personen aus Fernsehserien ihr theoretisches Leben in unserer linearen Zeit fortführen würden ... Bob und Emily Hartley, jetzt Anfang 70, würden runzlig und kinderlos in ihrem braunen Apartment wohnen. Oder Mary Tyler Moore, inzwischen 60 . .. mit Sicherheit verbittert, allein, unfruchtbar ...
     
    Prozac!

~
    SpaghettiOs
    What's My Line
    Aspirin
    Jell-O-Simulator
    Invasion
    russischer Winter
     
     
     
     
     
     
     
     
    F: Welches Tier wärst du, wenn
    du ein Tier sein könntest?
    A:   Du bist bereits ein Tier
     

SONNTAG
    E than hat mich angerufen und gefragt, ob ich nach San Carlos rüberkommen könnte. Als ich ankam, sprach er gerade in der Küche in sein schnurloses Telefon. Ich las in der Zwischenzeit im Wohnzimmer mit den vielen Monitoren im Cellular Buyer's Guide, Dr. Dobbs Journal, LAN Times - und Game Pro (#1 Video Game Magazine). Als er aus der Küche kam, hatte er ein Intel-T-Shirt an - ein seltener Anblick, schließlich habe ich ihn, seit ich ihn kenne, immer nur in Schlips und Kragen gesehen. Außerdem trug er Jeans. »Heute ist Freitag - ›Jeans-Tag‹, mein Lieber«, sagte er.
    Er setzte sich neben mich aufs Sofa, und wir schwiegen, während er die Zeitschriften, in denen ich geblättert hatte, umherschob und wieder geometrisch anordnete. Dann lehnte er sich in das weiße Leder zurück, den Arm hinter

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